Wien - Die Figur, die vor 100 Jahren gefunden wurde, ist elf Zentimeter groß, aus Kalkstein und rund 25.000 Jahre alt. Sie hat rote Farbe am Kopf, an einer Art geknüpfter Mütze, die auch eine Frisur sein könnte. Soviel Wissen über die in der Willendorfer Grabungsstätte gefundenen Frauenstatue ist gesichert, alles andere ist unklar.

Zum Beispiel, welchen Sinn die Figur gehabt hat. Ob sie rituellen Zwecken gedient hat und wenn ja, welchen, ist ebenso umstritten wie die Funktion der Farbe. Vermutlich war sie einmalig vollständig rot gefärbt, und zwar mit einer Art Erde, mit der Höhlenbewohner auch ihre Wände bemalt haben, und die später medizinische Dienste geleistet hat. Aber ob die Willendorferin deswegen in Schamanendiensten stand, ist wiederum fraglich - sie könnte genauso gut als erotisches Vorbild gedient haben.

Willendorf dürfte im übrigen nicht ihre Geburtsadresse gewesen sein, fand man doch in der Umgebung des Wachauer Ortes keine Spuren des seltenen Steins, aus dem sie gehauen wurde. Das wäre ein Indiz für die besondere Bedeutung der "Steinzeitschönen", wie sie die Frankfurter Allgemeine nannte, "mit dem gewiss verheerenden Body-Mass-Index".

Doch Bedeutung wofür? Wer stellte sie für wen her? Galten ihre Proportionen als Warnung vor Fehlernährung, als didaktische Erläuterung von Veränderungen bei der Schwangerschaft, als Zeichen für eine besondere Stellung in einem präsumptiven Matriarchat? Weiß man's?

Gewicht als Geheimnis

Bei allem Lokalpatriotismus übrigens: Der Fund ist zwar sehr gut erhalten, besonders alt und aus offensichtlichen Gründen besonders publikumswirksam (siehe links, oben und derzeit in jedem Medienkanal) - einmalig ist er nicht. Aus den Zeiten von vor 10.000 bis 18.000 Jahren sind unter unzähligen Statuetten auch viele von Frauengestalten gefunden worden. Sie sind zum Teil bereits sehr viel differenzierter, andere wiederum stilisiert und reduziert wie die Wachauerin. Die Forscher sind sich nicht einig, ob die Kontinuitäten oder die Unterschiede von größerer Bedeutung sind, was aber Unklarheiten auch nicht beseitigen würde.

Ebenso wenig würde das genaue Gewicht Entscheidendes zur Klärung des Fundes beitragen. Es wurde nur deswegen die längste Zeit geheim gehalten, damit Fälschungen leichter entlarvt werden konnten. Leider weiß man nicht einmal, ob es solche in größerem bzw. erfolgreichem Ausmaß gegeben hat.

Rundum, sozusagen, bleibt die Wahl-Wachauerin bei aller spektakulären Präsenz in einen Nebel an Spekulationen und Ungewissheiten eingetaucht. Nur eines war sie ganz gewiss nicht: eine römische Göttin, eine Venus. (mf, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8. August 2008)