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Kein Ende abzusehen: Ein Dorfbewohner in der Provinz Sidoarjo versucht die zu meterdickem Trockenschlamm angewachsene, jahrelang andauernde Eruption zu bearbeiten.

Foto: REUTERS/Sigit Pamungkas

Jakarta - Frühmorgens am 29. Mai 2006 erblickte ein Bauer im Osten der indonesischen Insel Java eine braune Fontäne, die aus seinem Reisfeld schoss. Der Sprudel schwoll zu einer ungeheuerlichen Schlammflut, die bis heute andauert. Pro Minute ergießen sich seither bis zu 1000 Badewannen Schlamm aus dem Untergrund. Die kochend heiße Brühe begrub Reisfelder, Fabriken und rund 5000 Häuser; mehr als 25.000 Menschen mussten umgesiedelt werden.

Viele Wissenschaftler sind überzeugt, dass eine Ölbohrung der Firma Lapindo das Desaster ausgelöst hat. Zu diesem Ergebnis kommt nun auch eine Gruppe um Mark Tingay von der Universität Adelaide in Australien im Fachjournal Geology.

Auch die örtliche Bevölkerung hat längst die Ölfirma als Verursacher ausgemacht. Die Einheimischen nennen den Schlammsee entsprechend "Lapindo" und verlangen Schadenersatz. Lapindo hat auf Druck von Politikern und Medien bereits viele Millionen Euro für die Hilfe der betroffenen Bevölkerung gezahlt, freilich ohne sich schuldig zu bekennen.

Trotz der Meinungsübermacht bleibt jedoch fraglich, ob wirklich die Bohrung das buchstäbliche Schlamassel in Indonesien verursacht hat. Einige Wissenschaftler haben gute Argumente gegen diese Theorie. Geoforscher um Adriano Mazzini von der Universität Oslo zum Beispiel erkennen auch natürliche Ursachen: Der Schlammvulkan sei aktiv geworden, nachdem zwei Tage zuvor 250 Kilometer entfernt in Süd-Java die Erde gebebt habe. Weltweit würgen etwa 700 Schlammvulkane, von Gas getrieben, Matsch aus der Tiefe.

Außer den Titel "Vulkan" haben sie nichts mit den Lava spuckenden Bergen gemein.

Mark Tingay und seine Kollegen erklären dagegen, das Beben von Java sei zu schwach gewesen, um die Schlammeruption auszulösen. Einigkeit besteht unter Wissenschaftlern immerhin darüber, dass es am Tag nach dem fraglichen Erdbeben Schwierigkeiten mit der Lapindo-Bohrung gab. Am Morgen des 28. Mai 2006 schlugen Sensoren Alarm, der Druck im Bohrloch war plötzlich stark gestiegen; offenbar strömte Grundwasser ins Loch. Umgehend wurde der Befehl gegeben, den Bohrer herauszuziehen. Doch die Maßnahme misslang. Der Untergrund brach ein, und der Bohrkopf blieb stecken. Das Grundwasser bahnte sich am Bohrloch vorbei. 200 Meter vom Bohrturm entfernt sprudelte es am nächsten Morgen aus einem Reisfeld.

Betonkugeln gegen den Brei

Für Richard Davies von der Durham University in Großbritannien ist die Sache daher klar: Die Öl-Bohrung habe die Schlammfontäne ausgelöst. Wahrscheinlich sei eine Grundwasser-Schicht in 2900 Meter Tiefe angestochen worden.

Oft schützen Ölfirmen ihr Bohrloch mit einer Stahlverkleidung. Die Katastrophe hätte womöglich vermieden werden können, wenn das Bohrloch wenigstens mit Beton verkleidet worden wäre, sagt Davies. Was jedoch im Einzelnen bei der Bohrung auf Java geschehen sei, bleibe unklar, meint Adriano Mazzini. "Ich habe viele widersprüchliche Daten gesehen", sagt der Geoforscher. Zusammen mit sechs Kollegen beharrt er darauf, dass das vorausgegangene Erdbeben im Süden Javas den Schlammausbruch ausgelöst habe.

Tatsächlich gibt es solche Fernwirkungen von Erdbeben. Manchmal lösen Beben noch in Tausenden Kilometer Entfernung Geysire aus oder ändern den Grundwasserstand.

Vermutlich stand der Schlammvulkan von Java bereits unter Hochdruck, meint Mazzini. Andere Forscher interpretieren die Befunde jedoch anders. Ein "nennenswertes Schlammreservoir" könne er nicht erkennen, sagt Achim Kopf von der Universität Bremen.

Mehr als die Diskussion der Wissenschaftler verfolgen die Einheimischen die Maßnahmen, mit denen die Schlammfluten bekämpft werden. Weder Deiche noch Kanäle halten den braunen Brei auf. Auch Betonkugeln konnten den Strom nicht stoppen. Der Schlamm scheint unerschöpflich zu sein. Menge und Geschwindigkeit deuten darauf hin, dass das Reservoir gut gefüllt ist und unter großem Druck steht.

Die Schlamm-Sintflut werde noch Jahre andauern, fürchtet Richard Davies. Vom Eingeweide befreit, sinkt nun sogar der Boden der Umgebung. Der braune See wird nicht nur immer größer, sondern auch tiefer. (Axel Bojanowski, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8. August 2008)