Möglicherweise eine bedenkliche Erwerbung: "Marschlandschaft mit rotem Windrad" von Karl Schmidt-Rottluff.

Foto: VG-Bildkunst, Sprengel Museum

Die Kunsthistorikerin Vanessa-Maria Voigt würdigt in ihrem Buch die Verdienste - und kritisiert die Erwerbspraktiken.

Hannover - Das 1922 im Fischerdorf Jershöft an der Ostsee entstandene Aquarell Marschlandschaft mit rotem Windrad von Karl Schmidt-Rottluff, das Bernhard und Margrit Sprengel im Juli 1939 erwarben, entsprach ganz ihrem Kunstgeschmack: Das Ehepaar liebte die intensive Farbgebung der deutschen Expressionisten, bevorzugte dabei jedoch die noch im Gegenständlichen verhafteten Werke.

Einen Schwerpunkt ihres Interesses bildeten die Landschafts- und Blumenbilder von Oskar Kokoschka, mit dem sie eine freundschaftliche Beziehung verband. In den 1970er-Jahren stifteten Bernhard und Margrit Sprengel einen Großteil ihrer bedeutenden Kollektion einem eigens für diesen Zweck errichteten Museum in Hannover.


Die Kunsthistorikerin Vanessa-Maria Voigt hat in ihrem Buch Kunsthändler und Sammler der Moderne im Nationalsozialismus die Geschichte der Sammlung Sprengel rekonstruiert und dabei ihr Augenmerk auf die bis 1945 erworbenen Werke gerichtet: Der Schokoladenfabrikant Bernhard Sprengel hatte mit seiner zweiten Frau, der Violinistin Margrit Backhausen, die von den Nationalsozialisten inszenierte Ausstellung Entartete Kunst in München besucht. Die Schau wirkte auf das Paar "wie eine Fanfare" : Noch an Ort und Stelle fasste es den Beschluss, eine Sammlung verfemter Kunst aufzubauen. Die Sprengels betraten die Sammlerszene also erst zu einem Zeitpunkt, zu dem das Schicksal der modernen Kunst unter dem NS-Regime bereits besiegelt war.

Bis 1945 trugen die Sprengels unter Umgehung der NS-Gesetze nahezu 600 Kunstwerke zusammen und bewahrten diese damit vor der Beschlagnahme oder Vernichtung. Voigt würdigt diese Verdienste nachdrücklich, steht den Erwerbspraktiken jedoch keineswegs kritiklos gegenüber. So merkt sie an, dass es der Geschäftsmann Sprengel durchaus verstanden habe, "im Rahmen einzelner Ankaufsverhandlungen den nötigen Druck nicht nur auf die Händler, sondern auch auf die privaten Sammler auszuüben, um die seinen Vorstellungen entsprechenden Preise zu erzielen" . Beim eingangs erwähnten Aquarell von Schmidt-Rottluff deutet vieles auf eine bedenkliche Erwerbung hin: Vorbesitzer war möglicherweise der ebenfalls in Hannover ansässig gewesene jüdische Bettfedernfabrikant Max Rüdenberg, der 1942 mit seiner Frau nach Theresienstadt deportiert worden war.

Komplexes Beziehungsgeflecht

Voigts Buch ist schon deshalb so lesenswert, weil die Autorin die Bedingungen und Handlungsspielräume auf dem damaligen Kunstmarkt untersucht. So macht sie deutlich, dass trotz der Verfemung der Avantgarde durch die Nationalsozialisten auch während des Dritten Reiches moderne Kunst intensiv gesammelt und gehandelt worden ist. Möglich war dies, weil das komplexe Beziehungsgeflecht von Händlern, Sammlern und Künstlern der Moderne auch in dieser Zeit Bestand hatte.

Voigt beschäftigt sich eingehend mit jenen Händlern, die am Aufbau der Sammlung Sprengel bis Kriegsende beteiligt waren: Vier der acht kooperierten nachweislich mit dem NS-Regime. Unten diesen war Hildebrand Gurlitt (1895-1956) insofern ein Sonderfall, als er gemäß den Nürnberger Gesetzen nicht rein "arisch" und somit Repressalien seitens des Regimes ausgesetzt war. Wegen seiner Abstammung und seines Engagements für die Moderne hatte er bereits 1933 seinen Sessel als Museumsdirektor in Zwickau räumen müssen und sich noch im selben Jahr als Kunsthändler in Hamburg selbstständig gemacht. Später war Gurlitt, ein Cousin des Kunsthändlers Wolfgang Gurlitt, als akkreditierter Einkäufer für den "Sonderauftrag Linz" aktiv. Vom Propagandaministerium war er ferner damit beauftragt, Werke "entarteter" Kunst aus deutschen Museen gegen Devisen ins Ausland zu verkaufen. Gurlitt nutzte diese Position, um beschlagnahmte Werke auch an inländische Sammler, darunter die Sprengels, zu verkaufen.

Aufschlussreich für die Strukturen des Kunsthandels im Dritten Reich war, so Voigt, "vor allem die Tatsache, dass die Nationalsozialisten die diskriminierenden Maßnahmen gegen ‚Nichtarier‘ dann bewusst außer Kraft setzten, wenn sie von den Kenntnissen einer Person wie Gurlitt profitieren konnten" . Dies gilt auch für den Kunsthändler Otto Schatzker, dessen Dienste die Nationalsozialisten ebenfalls gerne in Anspruch nahmen: Schatzker, der ursprünglich Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien gewesen war, wurde sogar 1941 vom Reichssippenamt zum "Arier" erklärt. (Gabriele Anderl / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7.8.2008)