Zur Person:

Walter Rabl, geb. 1959, ist Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Gerichtliche Medizin und stellvertretender Direktor der Gerichtsmedizin Innsbruck.

 

Foto: Uni Innsbruck

STANDARD: Nach dem plötzlichen Tod eines Kindes haben die Eltern nicht nur die Ärzte, sondern auch die Staatsanwaltschaft im Haus, die eine gerichtsmedizinische Untersuchung anordnet. Ist das nicht ein bisschen viel?

Rabl: Das scheint nur auf den ersten Blick so. Aber erst einmal zur rechtlichen Grundlage: In Österreich muss ein Mensch, dessen Todesursache nicht geklärt ist, nach den Sanitätsgesetzen obduziert werden - ganz gleich, ob es sich nun um Kinder oder Erwachsene handelt. Nur bei einem konkreten Verdacht auf ein Fremdverschulden wird die Obduktion von der Staatsanwaltschaft angeordnet. Beim plötzlichen Kindstod aber ist es besonders wichtig, dass man die Säuglinge gründlich untersucht.

STANDARD: Weil das Phänomen so wenig verstanden ist?

Rabl: Das spielt auch eine Rolle. Wichtiger aber ist die Obduktion für die Eltern selbst. Sie sehen im ersten Moment natürlich nur den Schmerz und fragen sich, warum sie ihr Kind nicht einfach begraben und in Ruhe trauern können. Doch die Probleme kommen dann einige Wochen später. Dann quälen die Angehörigen auf einmal Fragen, ob sie wirklich alles richtig gemacht haben. Sie rufen sich alle Geschehnisse wieder und wieder in Erinnerung und verlieren sich in Selbstvorwürfen. Je mehr Zeit vergeht, umso dramatischer wird die Situation.

STANDARD: Sagen das auch die Eltern, die mit der Obduktion konfrontiert wurden?

Rabl: Oh ja. Gerade die Eltern, die sich zunächst gegen eine gerichtsmedizinische Untersuchung gewehrt haben, sind später sehr dafür. Obduktionen oder vielmehr der Untersuchung ungeklärter Todesursachen haftet immer so ein kriminalistischer Beigeschmack an. Dass hinter einem Säuglingstod ein Fremdverschulden steht, kommt aber nur selten vor - ich glaube, ich habe in meiner Laufbahn ein einziges Kind gesehen, dass mit dem Verdacht auf plötzlichen Kindstod untersucht wurde und bei dem sich später ein Schütteltrauma herausstellte.

Standard: Was versteht man unter einem Schütteltrauma?

Rabl: Babys kann man tatsächlich durch kräftiges Schütteln "ruhigstellen". Durch die dabei verursachte Beschleunigung werden sie schlagartig bewusstlos. Aber das ist natürlich eine Misshandlung, durch die man erheblich Hirnschädigungen hervorrufen kann - bis hin zum Tod. Aber darum geht es bei Untersuchung des plötzlichen Kindstods nicht in erster Linie. Man will feststellen, ob der Tod nicht doch eine andere Ursache hatte: eine Infektion oder einen Herzfehler etwa. Übrigens finden wir nur in zehn bis 20 Prozent der Fälle, dass das Baby nicht am plötzlichen Kindstod, sondern an einer anderen Ursache starb.

STANDARD: Was untersuchen Sie bei den Kindern?

Rabl: Zuerst schauen wir uns die Kinder einmal genau von außen an. Dann untersuchen wir die einzelnen Organe und Gewebe sowohl mit freiem Auge als auch mikroskopisch. Schließlich erfolgen chemisch-toxikologische Untersuchungen mit der Frage, ob das Kind an einer Vergiftung starb. Auch das bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Eltern ihr Kind getötet haben. Die Befunde müssen jeweils im Einzelfall sorgfältig interpretiert werden, um zu einer verlässlichen Diagnose zu kommen. Tote Kinder werden keine Routine. Kalt lässt einen das nie. (Edda Grabar, DER STANDARD, Printausgabe, 4.8.2008)