Wie andere Menschen ihr tägliches Pils, braucht Orhan Pamuk zum Leben sein Schreiben: In Salzburg stellt der türkische Nobelpreisträger nun seinen neuen Roman vor.

Foto: Murat Türemis

Wien - Im vergangenen Jahr unternahm Orhan Pamuk eine von lauten medialen Nebengeräuschen begleitete Lesereise durch Deutschland. Eine häufige Journalistenfrage war jene nach dem Leben nach dem Literaturnobelpreis. Nichts habe sich verändert, antwortete Pamuk: "Wie andere Leute ein Pils brauchen, um das Leben fortsetzen zu können, brauche ich die Literatur."

Seit seinem Roman Schnee (2005) und einigen Kommentaren über die türkische Geschichte (Stichwort: Völkermord an den Armeniern) und einer daraus resultierenden Anklage wegen "Herabwürdigung des Türkentums" steht Pamuk auch für einen Nobelpreisträger besonders stark im öffentlichen Interesse.

Im Westen sieht man in ihm die Verkörperung des fortschrittlichen Türken. In seiner Heimat verteufeln ihn zwar die einen - so soll er auch auf einer Todesliste der Terrorgruppe "Ergenekon" gestanden haben -, allerdings hat ihm eine aufgeschlossene Leserschaft auch dort die Treue gehalten.

Pamuk ist so zu einem gefragten politischen Kommentator geworden. Nur, und das wird gern vergessen: Orhan Pamuk ist in erster Linie Autor. Er möchte "im Elfenbeinturm leben" , sagte er einmal. Und: "Ich habe keine politische Agenda, nur einen moralischen Standpunkt. Ich denke, dass die Zukunft der Türkei und Europas eine gemeinsame sein sollte. Das sage ich auch ab und zu. Aber ich möchte nicht, dass die Politik mich dominiert."

Das Buch in Gedanken

Sein neuer Roman Das Museum der Unschuld habe sehr viel Zeit in Anspruch genommen, erklärte er zuletzt: "Mehr als zehn Jahre trage ich dieses Buch in Gedanken mit mir, sechs Jahre habe ich dem politischen Druck zum Trotz daran geschrieben." Über das Buch, das zwischen 1975 und 1985 in einem teils verwestlichten, teils noch traditionellen Milieu angesiedelt sein soll, sind bis dato nur spärliche Informationen an die Öffentlichkeit gedrungen.

Die Handlung dreht sich um einen jungen Mann aus der Oberschicht Istanbuls, der sich in eine arme Verwandte verliebt. Trotz seiner Obsession führt er die Beziehung mit seiner Verlobten fort. Worauf sich ihm die Geliebte entzieht. Er reagiert, indem er alle Gegenstände, die diese berührt hat, in einem "Museum der Unschuld" versammelt. Dieses Museum realisiert Pamuk gegenwärtig auch als Projekt in Istanbul und in der Frankfurter Schirn Kunsthalle.

Bevor Pamuks Roman, dessen Veröffentlichung verschoben werden musste, am 10. September in Gerhard Meiers Übersetzung im Hanser Verlag erscheinen wird, tritt der 56-Jährige in diesen Tagen neben Dimitré Dinev als "Dichter zu Gast" bei den Salzburger Festspielen auf. Angeblich soll er sich schon in der Stadt aufhalten. Ob er bei der heutigen Lesung aus Schnee (Landestheater, 19.30 Uhr) durch Jens Harzer anwesend sein wird, ist ungewiss.

Fix scheint zu sein, dass er kommenden Montag mit dem Kunsthistoriker Hans Belting über "Das globalisierte Sehen" diskutieren (Landestheater, 19.30 Uhr) wird. Thema des Abends ist, inwiefern der abendländische Blick auf die Welt andere Perspektiven zum Verschwinden bringt.

Am 7. August (Felsenreitschule, 17 Uhr) wird Pamuk mit Helmut Lohner zum weltweit ersten Mal Ausschnitte aus seinem neuen Roman öffentlich vortragen. Bei seinem letzten Auftritt in Salzburg absolviert er dann am 12. August eine Lesung mit Videoanimation historischer Bilder unter dem Titel Ich bin ein Bild (Mozarteum, 19.30 Uhr). Bis dahin sollten auch alle Exponate in seinem imaginären und realen Museum an ihrem Platz sein. (Sebastian Fasthuber, DER STANDARD/Printausgabe, 02.08/03.08.2008)