Der Boulevard kampagnisiert mit Erfolg, zeigt die Meinungsforschung.

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Bei den Nationalratswahlen geht es um viel - um Kandidaten, Versprechen (inklusive derer aus 2006), die Stärke von Parteien, Koalitionen und auch um etwas (für Österreich) Neues: wer nämlich die grundlegenden politischen Richtlinien vorgibt, um das Primat der demokratisch legitimierten Politik oder des auflagenstarken Boulevards.

Die Fakten sind bekannt: Seit Monaten peitscht die Kronen Zeitung eine latent EU-kritische Stimmung vieler Menschen (nicht der Mehrheit) und vor allem der eigenen Leserschaft hoch - und lässt den Niederschlag dieser Kampagne von Meinungsumfragen bestätigen um sie und sich abzufeiern: im Juli glauben 72 Prozent der Exklusivleser der Krone - also Personen, die von dieser und nur von dieser einschlägig bearbeitet worden sind -, dass die EU-Mitgliedschaft der österreichischen Bevölkerung überwiegend Nachteile bringt.

Umgekehrt sehen 70 Prozent der Exklusivleser anderer Tageszeitungen Vorteile aus der Mitgliedschaft; 85 Prozent der Krone-Exklusivleser wollen eine verpflichtende Volksabstimmung über künftige EU-Verträge, aber nur eine Minderheit der anderen. Lange haben die meisten politischen Kräfte dem standgehalten - neben der FPÖ, einer Handvoll Manifeste schreibender Wissenschafter und Attac hat sich von den Spitzen der Regierungsparteien nur der oberösterreichische SPÖ-Obmann Erich Haider auf die Kronenseite(n) geschlagen.

Bis dann der von der eigenen Partei abgehalfterte Bundeskanzler Gusenbauer und der designierte SPÖ-Parteiobmann Faymann umgefallen sind und das per Leserbrief an das Anti-EU-Zentralorgan diesem und einem fassungslosen Publikum kundgetan haben. Schon wahr, einige wenige sozialdemokratische Altpolitiker (Vranitzky, Lacina) und noch Aktive (Bösch, Knoll, Schaden, Radlegger) haben Rückgrat bewiesen, doch das Gros der Parteigranden (Burgstaller, Bures, Cap, Häupl, Swoboda, Voves usw. usf.) haben den Kniefall anstandslos und widerstandslos mitvollzogen. Mit Begründungen, die teils so hanebüchen waren, dass selbst neun von zehn Krone-Lesern diesen Kurswechsel nicht als Überzeugungstat, sondern als Ausdruck von Opportunismus erkannt haben.

Eine neue Partei

Auf den Teilerfolg der ersten Kampagne (der Verkündigung der wahren Lehre und der Anbiederung einer Partei an deren Propheten) musste natürlich eine zweite Kampagne folgen - um die folgsamen Gläubigen zu belohnen und die renitenten Ungläubigen zu züchtigen. Dazu hat sich die Krone in eine wahlkämpfende politische Partei verwandelt, mit fast allen Ingredienzen: Themensetzung, Propaganda-Funktionäre (Journalisten, Kommentatoren), massive negative Emotionalisierung und Angriffe auf Personen (speziell Plassnik), Testimonials und dumpfe Drohungen. Mit einer Ausnahme: der "Parteivorsitzende" denkt weder daran, sich in eine offene Konfrontation zu wagen (Dichand versus Molterer wäre allemal informativer als Van der Bellen vs. Strache), noch daran, sich einer echten Wahl zu stellen.

Die Krone schreibt die "feindliche" ÖVP nieder und sucht ihren Koalitionspartner SPÖ mit deren Spitzenkandidaten und Krone-Spezi Faymann hinaufzuschreiben. Und das bisher nicht ohne Erfolg: gut jede(r) zweite Krone-Exklusivleser(in) hält die SPÖ für eine verlässliche Partei, will einen SPÖ-Bundeskanzler und Faymann als eben diesen; die anderen Exklusivleser sehen das nicht so.

Ein Teil der Leser wurde schon umerzogen: der Anteil an ÖVP-Wählern aus den Krone-Exklusiven wurde von 2006 bis heute von 22 auf 11 Prozent halbiert, bei den Exklusivlesern anderer Zeitungen erleidet die ÖVP nur geringe Einbußen, dafür fallen dort die SPÖ-Verluste deftiger aus.

Der Krone geht es dabei nur vordergründig um SPÖ und ÖVP oder um ein konkretes Anliegen. Ihr geht es um die Demonstration ihrer Macht, dass man ihr nicht zuwiderhandeln darf und wer es trotzdem versucht, soll in eine (Wahl-)Niederlage gezwungen werden. Die Boulevardzeitung stellt so die eigentliche Machtfrage im Land: wer bestimmt die inhaltlichen Richtlinien der Politik im Land - die demokratischen Institutionen oder der Zeitungszar.

Daher geht es bei dieser Wahl aus demokratiepolitischer Sicht vor allem darum. Denn niemand sollte sich täuschen - hat die Krone damit Erfolg, werden sich so gut wie keine Politiker, die mehr als ein Nischendasein führen möchten, mehr trauen, dem Ukas aus der Muthgasse zu trotzen. Und der greise Zeitungszar ist endlich dort angelangt, wo er schon immer sein wollte: vom Vorzimmer der Macht, aus dem ihn ein früherer Bundeskanzler hinauskomplimentiert hatte, ins Kanzleramt. Neben oder unter ihm darf dann ruhig irgendein Kanzlerdarsteller sitzen - ob der/die dann Faymann oder sonst wie heißt, kann dem "Onkel Hans" durchaus egal sein. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.8.2008)