Das Schloss Dobrovo und ein Weinkeller in den Hügeln von Goriska Brda, die einst Teil der berühmten Weinbauregion Collio waren.

Foto: Bobo, Slowenisches Amt für Tourismus
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Grafik: DER STANDARD

So könnten Tage öfter zu Ende gehen. Es ist schon nach Mitternacht, eine leichte Brise streicht über die Hügel der slowenischen Goriska Brda und über der Adria zucken gelegentlich Blitze. Wir haben ein langes Abendessen mit dazupassenden Weinen hinter uns. Das begann mit Prosciutto, der heißt hier Prsut und kommt aus dem Karst, und kühlem Malvazija auf der Terrasse vor dem Winzerhaus und endete mit Struklji, einem von der Großmutter produzierten Kirschstrudel. Dazwischen kaltes istrisches Schweinekarree, eine Gemüsesuppe, Zucchinipastete und als Höhepunkt ein zartes Beiried vom Holzkohlengrill, wieder mit Gemüse, und weißer Polenta. Begleitet von einem Quela 2004, einer Cuvée aus Merlot, Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc, gelagert im Kirschholzfass.

Jetzt öffnet Winzer Klinec eine letzte Flasche und deutet hinaus auf die Lichter über dem Meer. Da rechts ist Lignano, links Grado, und wenn morgen das Wetter schön ist, seht ihr den Turm von Aquileia.

Hinter uns liegt der erste Tag einer kulinarischen Reise durch Teile Sloweniens: Bergtäler, Hügellandschaften, Küste - Gegenden, in denen Zeit, das kostbarste Gut der Internet-Gesellschaft, verlangsamt erscheint und erlebbar wird auf Spaziergängen, bei Wanderungen durch jahrmillionenalte Tropfsteinhöhlen und nicht zuletzt bei ausgedehnten Mahlzeiten mit Produkten aus Meer und Wäldern. Und mit Weinen aus autochthonen Rebsorten wie Malvazija, Rebula (Ribolla gialla) oder Terran (Refosco).

Jahrzehntelang waren die Regionen als Teil des sozialistischen Jugoslawiens abgeschnitten von der internationalen Entwicklung, wie die Goriska Brda, die Görzer Hügel, die einst Teil der berühmten Weinbauregion Collio waren.

Der bekannteste Winzer in der Goriska Brda ist Ales Kristancic (42) vom Weingut Movia in Dobrovo. Sein Vater war der einzige Weinbauer im Sozialismus, der seinen Betrieb privat führen durfte, mit der Auflage, nur an die Regierung Titos zu liefern. Er nutzte das Privileg und die Restriktion, indem er auf Zeit setzte. Man pflanzt die Reben nicht für den Wein des eigenen Lebens, sondern für den der nächsten Generation, ist eine seiner Erkenntnisse, die er an den Sohn weitergab. Eine andere Weisheit: Die ersten 30 Jahre arbeitet man für den Rebstock, erst danach für den Wein. 90 Jahre alt sind die Stöcke für den weißen Rebula, mit Wurzeln tief hinunter in den mineralischen Boden.

Mit dem Wissen des Vaters, mit einer hervorragenden önologischen Ausbildung und Praxis in Frankreich (u. a. im Chateau Petrus) ist Sohn Ales zum Starwinzer geworden. Das Weingut Movia, zu dem 22 Hektar Rebfläche (14 in der Goriska Brda und acht drüben im Collio) gehören, baute als erster slowenischer Betrieb Weine im Barriqueverfahren aus. Seit 2005 läuft eine Umstellungsphase für die Zertifizierung als Bio-Weingut.

Ales Kristancic vermittelt seine Philosophie - über das problematische Schwefeln oder warum man die Stöcke in trockenen Jahren nicht gießen soll, damit die Wurzeln gezwungen werden, sich die Nahrung von weit unten zu holen - mit großem Showtalent. Kein Zweifel, da versteht einer, seine Leidenschaft zu verkaufen.

Auch kleine Winzer drängen international nach vorn, wie Primoz Lavrencic mit dem Familiengut Sutor im Vipava-Tal, der biologische Rot- und Weißweine produziert und seine Cuvées aus Rebula, Malvazija und Welschriesling Burja nennt, nach der Bora, jenem heftigen Wind, der im Winter über den Karst pfeift. Die gerade einmal 18.000 Flaschen Jahresproduktion finden Abnehmer in Italien, der Schweiz, Holland und den USA und begleiten auch die Speisen in dem nur ein paar Kilometer entfernten Restaurant Pri Lojzetu in einem ehemals adeligen Jagdschloss. Hier kocht seit einigen Jahren der sehr kreative junge Chef, Tomaz Kavcic, eine kühne Mischung aus Einfachstem und Raffiniertem. Unser zehngängiges Menü unter Arkaden im Freien begann mit selbstgebackenem Weißbrot mit Oberskren und steigerte sich zu einem unvergesslichen Höhepunkt: Maipilze mit zartem Lardospeck vom schwarzen Schwein, Kresse und eine Mischung aus Parmesan und Schafkäse. Das Meer ist nicht weit, die Wiesen noch näher, Erdäpfel-Gnocchi, Bergkäse und Jakobsmuscheln verbinden sich, Seebrasse in der Salzkruste kommt mit Zucchini, Fenchelchips und Apfelkren.

Nur 50 Kilometer lang ist der Anteil Sloweniens an der Adriaküste - das sind zwei Meter für jeden Slowenen. Trotzdem war das Meer - durch Fischerei, Seehandel und Salzgewinnung - immer schon ein wichtiger Wirtschaftsfaktor im Land. In der einst von den Venezianern kolonisierten malerischen Stadt Piran, nur eine Spazierdistanz von den Bettenburgen von Portoroz entfernt, bekommen wir im Fischrestaurant Pawel die Adriaköstlichkeiten so unverfälscht serviert, wie man sie in den teuren Touristenabspeisungen Venedigs vergeblich sucht.

Natürlich gibt es auch in Slowenien touristisch-gastronomische Merkwürdigkeiten, wie etwa einen "Fuhrmanns-Schmau besser Tages" im Restaurant der Grotte von Postojna, doch allein der Gang durch den Markt von Ljubljana mit Kirschen oder Khaki aus der Goriska Brda, mit Kipflern und Käferbohnen, dem Karster Schinken und den Meeresfrüchten der Adria zeigt den Reichtum des Einfachen, den es in diesem kleinen Land zu entdecken gilt. Es ist die "entzückend schöne Schau nach Süden", die der altösterreichische Bergsteiger und Schriftsteller Julius Kugy beim Blick von den Julischen Alpen aufs Meer pries. "Eine Schau in Sonne, Glanz und Licht", für die man sich freilich Zeit nehmen muss. (Horst Christoph/DER STANDARD/rondo/1.8.2008)