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Kosmetikwerbung in Shanghai.

Peking - Die neuen Reichen in China lieben goldene Uhren und edle Füllfederhalter. Rege Nachfrage nach Luxusgütern dieser Art sorgte jüngst beim Schweizer Konzern Richemont für glänzende Quartalszahlen. Während sich die Oberschicht in der Volksrepublik mit Statussymbolen behängt, muss mehr als ein Sechstel des Milliardenvolks mit weniger als 1,25 Dollar über den Tag kommen. Die Armutsschere in der rasant wachsenden Volkswirtschaft geht immer weiter auseinander. Für den früher in Peking als Professor tätigen Chefvolkswirt der Weltbank, Justin Yifu Lin, steckt das kommunistische Land in einem Dilemma: Der Staat päppele die Firmen mit Subventionen und sorge so für immer größere Gewinne, doch komme der Boom bei der Bevölkerungsmehrheit nicht an.

Sozialer Sprengstoff

Die ungleiche Verteilung des Reichtums birgt sozialen Sprengstoff, wie Lin in einer von der Australian National University veröffentlichten Textsammlung warnt. Darin geht der ehemalige Regierungsberater mit der Führung in Peking hart ins Gericht: Im Namen der "Effizienz" würden die Interessen der Konzerne großgeschrieben, nicht jedoch die der Arbeiter. Die Firmen könnten letztlich nur deshalb so kräftige Profite einstreichen, weil der Staat die Unternehmer mit Subventionen vor dem harten Wind des Wettbewerbs schütze. "Letztlich bedeuten diese Gewinne auch einen Reichtumstransfer, der unweigerlich zu sozialer Instabilität führen wird", warnt Lin.

Städter profitieren eher vom Boom

Das Dilemma bestehe darin, dass die Führung in Peking ständig mit Preiskontrollen und Beihilfen nachsteuern müsse, um die Schere nicht zu weit auseinandergehen zu lassen. Als China vor 30 Jahren mit Wirtschaftsreformen zum Sprung auf den Weltmarkt ansetzte, waren die verfügbaren Einkommen von Städtern 2,6 mal höher als die Nettoeinkünfte der Landbevölkerung. Im Jahr 2006 verdienten die Menschen in den Ballungszentren des Riesenreichs bereits 3,3 mal mehr als die Bauern auf dem Land. Die Regierung hat nun riesige Anstrengungen unternommen, die Kluft zu schließen. Mit massiven Investitionen in Gesundheitswesen, Bildung und Infrastruktur gelang es so, das Einkommen der Landbevölkerung im ersten Halbjahr um knapp ein Fünftel zum Vorjahreszeitraum zu steigern. Damit schloss sich die Schere zu den Einkommen der Städter etwas, die nur um 14,4 Prozent zulegten.

Umverteilung

Dieser Fortschritt kann jedoch nicht verdecken, dass die Preisexplosion bei Lebensmitteln der Bevölkerung arg zu schaffen macht: "Inflation trifft Arme immer härter als Reiche - da ist China keine Ausnahme", sagt Wang Dewen von der Akademie für Sozialwissenschaften in Peking. Weltbank-Chefvolkswirt Lin empfiehlt der Regierung im Kampf gegen die Inflation, stärker auf Marktkräfte als auf Subventionswirtschaft zu setzen: "Wo immer möglich, sollte China Monopole abschaffen und Wettbewerb einführen, womit die Gewinne, aber auch die Preise sinken würden."

Automatisch würden bei mehr marktwirtschaftlichen Reformen auch die Einkommensunterschiede zwischen Stadt- und Landbevölkerung verringert. Einer Studie der Asian Development Bank zufolge erinnert die Einkommensstruktur im Reich der Mitte derzeit an Entwicklungsstaaten in Lateinamerika. China habe es selbst in der Hand, dies zu ändern, mahnt Lin. "Wir müssen sicherstellen, dass die Einkommen der Armen schneller wachsen als die der Reichen. Aber das sollte nicht über Umverteilung erreicht werden." (Reuters)