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Moskau - Russland hat den Wettlauf um die gewaltigen Energiereserven in der Arktis eröffnet. Der russische Präsident Dmitri Medwedew hat die gesetzliche Grundlage für die Förderung der Rohstoffe im russischen Kontinentalschelf geschaffen. Demzufolge ist die Regierung berechtigt, Aufträge ohne Ausschreibungen zu vergeben. "Diese Entscheidung wurde bewusst getroffen, um unsere nationalen Reichtümer rationell zu nutzen", sagte Medwedew im russischen Fernsehen. Der russische Staat verstärkt damit seine Kontrolle über die nationalen Rohstoffvorräte.

Im arktischen Meer werden riesige Öl- und Gaslager vermutet. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Ria Nowosti sollen im russischen Kontinentalschelf rund 63 Billionen Kubikmeter Gas, neun Milliarden Tonnen Erdöl unter Wasser und 3,5 Milliarden Tonnen an der Küste schlummern. Dies entspricht etwa einem Viertel der weltweiten Mineralrohstoffvorkommen.

Knapper werdende Ressourcen zwingen die Energiekonzerne neue Öl- und Gasquellen anzuzapfen. Aufgrund des Klimaerwärmung werden die arktischen Rohstoffe künftig leichter zugänglich. Nichtsdestotrotz wird die Erschließung und Förderung der Vorkommen Milliarden verschlingen.

Sergej Bogdantschikow, Vorstandschef des staatlichen Ölkonzerns Rosneft, rechnet damit, dass die Entwicklung der russischen Offshore-Vorkommen 61 Billionen Rubel (rund 1,6 Billionen Euro) kosten wird.

"Gesetz über Kontinentalschelf"

Der Präsident beauftragte Vizepremier Igor Setschin, der der Geheimdienstfraktion Silowiki nahe steht und Aufsichtsratsvorsitzender des staatlichen Ölkonzerns Rosneft ist, mit der möglichst schnellen Umsetzung des "Gesetzes über den Kontinentalschelf". Laut Setschin kommen für die Erschließung des Festlandsockels nur Unternehmen in Frage, an denen der Staat ein Kontrollpaket hält und die bereits fünf Jahre Erfahrung in Sachen Schelferschließung haben.

Damit sind alle privaten und ausländischen Unternehmen aus dem Rennen und die großen Gewinner der staatliche Gaskonzern Gasprom und der staatliche Ölkonzern Rosneft. Analysten bezweifeln jedoch, dass die beiden Staatskonzerne auf Grund des hohen finanziellen Aufwandes und der technischen Herausforderungen ganz ohne internationale Unterstützung auskommen werden.

Dazu kommt, dass nicht nur Russland einen Anspruch auf die Schätze im Eismeer erhebt. Auch die übrigen Anrainerstaaten, die USA, Kanada, Island, Dänemark, Norwegen und Russland wollen ihren Teil vom Kuchen. Nach der UN-Seerechtskonvention haben Staaten nur Rechte auf Meeresgrundgebiete im Umkreis von 200 Seemeilen, soweit diese mit dem eigenen Festland verbunden sind. Russland fordert seit 2001 von den Vereinten Nationen eine Anerkennung von zwei Dritteln der Arktis. Um seine Ansprüche zu untermauern, hat der Kreml im vergangenen Sommer eine Expedition in die Arktis geschickt, die symbolträchtig in 4500 Metern Wassertiefe eine Titanflagge gehisst hatte.

Doch auch die USA schlafen nicht. Präsident George W. Bush hob vergangene Woche ein Offshore-Bohrungsverbot auf, das von seinem Vater 1990 in Kraft gesetzt wurde. Nun ist der Ball beim Kongress, der ebenfalls eine Sperre für die Erschließung von Rohstoffvorkommen in den Meeresgebieten verhängt hatte. Obwohl die Sperre am 30. September ausläuft, gilt es als wahrscheinlich, dass der Kongress das Verbot erneuert. (Verena Diethelm aus Moskau, DER STANDARD, Printausgabe, 22.7.2008)