Alpenblog: Vierzehnte Etappe: Watschig - Treßdorf

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Alpenblog: Zweiundzwanzigste Etappe: Arnbach - Kandellen

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Alpenblog: Achtundreißigste Etappe: Schachen Hütte - Knorrhütte (Zugspitze)

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Alpenblog: Dreiundsiebzigste Etappe: Stilfser Joch - Arnoga

Grafik: DER STANDARD

Das tägliche Weggehen, das tägliche Ankommen, Müdigkeit, Glück, Täler und Pässe. Hunger, Durst und unverhoffte Begegnungen. Tiefblicke, Fernblicke, Wegränder, Bäche und bellende Hunde. Wind zwischen den Beinen, Sonne auf den Armen. Regen im Gesicht und Sehnsucht nach Abwesenden. Abends Bier und jeden Tag das sich wieder anders anfühlende Gewicht des Rucksacks. All das fällt einem ein, beginnt man von dieser Reise zu erzählen. All das und mehr taucht vor dem inneren Auge auf, so wirklich wie nichts und zuordenbar zu Tagen, Routen und Befindlichkeiten, um ebenso schnell wieder zu wie flüchtig Geträumtem zu werden - in dem Augenblick, in dem man zu sagen versucht: So ist diese Reise, ganz genau so.

Es ist wie im Nebel. Viel dichter als jener, der etwa in den ersten Junitagen in den Tuxer Alpen lag. Ein Nebel, in dem alle Eindrücke sich augenblicklich auflösen, sobald man sie im Schreiben festzuhalten versucht. Während der Tuxer Nebel auf dem Weg von Mayrhofen zur Rastkogelhütte einfach nur finster war, mitten am Tag, dicht und dunkel, und unablässig Regen fiel. So regnete es den steilen Leonhard-Stock-Weg zum Penken hinauf, regnete es am Weg ins nächste Tal hinunter und hörte auch im Anstieg Richtung Rastkogel nicht auf, so dass die Welt irgendwann aus nicht viel mehr als dem unter der Pelerine nur in ständiger Bewegung noch warm gehaltenen Körper bestand. Aus saurer Muskulatur, müdem Sinn und einer glitschig-kalten Umgebung, in der kein Mensch unterwegs war, nicht einmal Vögel, selbst die hatten sich längst versteckt.

Diese ersten Junitage im Nebel und im Regen der Tuxer Alpen, es waren, nach der Überquerung des Alpenhauptkamms beim Pfitscher Joch, auch die ersten in jenen alpinen Höhen, die im Mai aufgrund der späten Schneemengen nicht begehbar waren. Ganz weg war der Schnee, vor allem auf den Nordseiten, zwar noch immer nicht, doch in nicht zu steilem und vor allem nicht ausgesetztem Gelände sollten sich diese letzten Schneefelder gut bewältigen lassen, meinten die in den Tagen davor kontaktierten Hüttenwirte. Solange ich das aber nicht selbst ausprobiert hatte, blieb angesichts der vielen Schnee-Umwege der letzten Wochen ein Rest an Unsicherheit, ein Rest Unruhe. Und trieb mich dazu an, an diesem verregneten Junitag, dessen erste Hälfte ich noch zur Fertigstellung der ersten RONDO-Geschichte gebraucht hatte, die normalerweise achtstündige Strecke zur Rastkogelhütte in unter sechs Stunden zu gehen.

Zwei Tage und einige überquerte Schneefelder später war die Spannung bereits einer richtig beschwingten Leichtigkeit gewichen. Neblig war es zwar immer noch, als ich am Loas-Sattel aufbrach, um über das Kellerjoch nach Schwaz zu gehen, doch vermisste ich nicht einmal hier, wo es bei klarem Wetter wunderbare Fern- und Tiefblicke ins Inntal geben musste, die Aussicht. Und so waren es zwischen dem verhuscht nahen Dahindonnern der Flugzeuge und den von irgendwo tief unten heraufbimmelnden Kuhglocken auch nicht jene ersten hellen Stellen im Nebelgrau oder die bereits zu hauchdünnen Spritzern gewordenen Regentropfen, in denen schließlich etwas aufging, das mit keiner Fernsicht vergleichbar war.

Etwas, für das es weder Namen noch eine nähere Beschreibung als jene gibt, dass es zumindest für Augenblick unbestreitbarerweise nicht mehr allein der schottrig-steile Steig war, der mich die Flanke des Kellerjochs hinaufführte, sondern eine nebelglitzernd helle Traumlinie aus Atem und Wind, Flugzeugen und Kühen sowie einer längst nicht nur physischen Selbstüberschätzung. Bis das Schneefeld auftauchte, im Steilhang, den ich zum Sattel hinüber noch zu queren hatte. Ich stieg weiter, doch hatte mich die Vernunft augenblicklich wieder genug im Griff, dass ich sicher umgedreht hätte, wäre nicht kurz darauf ein freigeschaufelter Durchlass sichtbar geworden. Wozu einen Absturz riskieren, wo es doch auch Wege nach Schwaz gab, auf denen man nicht über den Berg musste. Und die Hütte, so hatte der Wirt am Loas-Sattel gesagt, sperrte ohnedies erst in ein paar Tagen auf. Was sich aber als falsch herausstellen sollte und den kleinen Schrecken auch der nachfolgend schwierigen Stellen umgehend wieder verdrängte.

Dennoch glaube ich, dass ich zumindest in den nächsten Tagen, als im Karwendel die Schneefelder nicht nur mehr wurden, sondern zum Teil auch über ausgesetzte Passagen führten, keine weiteren Hasardstücke riskiert hätte. Nachdem sich aber bereits am Lamsenjoch die Trittspuren als tatsächlich so zuverlässig herausgestellt hatten, wie mir das davor vom Hüttenwirt versichert worden war, begann ich an der Herausforderung jedoch Gefallen zu finden. Bis ich mich, bereits in den Allgäuer Alpen angelangt, auf der Querung vom Prinz-Luitpold-Haus zum Sommereck-Sattel vor einem Schneefeld fand, auf dem die Trittspuren bereits so alt waren, dass sie nur mehr als leichte Dellen erkennbar waren. - Kein Problem, hatte der Hüttenwirt noch gesagt. Dass dem aber in keiner Weise so war, hätte ich schon beim ersten Schritt wissen können, für den ich, gestützt auf die Stöcke, so wie dann auch für jeden weiteren über den steil abfallenden Hang, mehrere Tritte brauchte, um einen halbwegs sicheren Absatz unter den Schuhsohlen zu haben. Im nächsten Schneefeld war es nicht anders. Zudem folgte dem Abhang nach kaum mehr als 15, 20 Metern eine senkrechte Felswand.

Ich weiß nicht, warum ich mich über diese beiden ersten Schneefelder gewagt habe. Ich weiß nur, dass ich mich nach dem dritten einfach nicht mehr zurückgehen traute. Und dass die Hänge des Sommereck-Sattels, die ich nach einer Stunde Trittarbeit endlich vor mir hatte, so voller Schnee waren, dass an einen Aufstieg in keiner Weise zu denken war. Sogar frische Schneebretter waren darin erkennbar. Den Wirt des Prinz-Luitpold-Hauses verfluchte ich aber angesichts dessen weit weniger, als mich das Rätsel schreckte, warum ich überhaupt so weit gegangen war. Und erinnerte mich dabei nur zu gut wieder an jene Momente in der Hangquerung zur Kellerjochhütte, in der es nach dem freigeschaufelten Steig durchs Schneefeld noch zwei, drei felsige Absätze gegeben hatte, in denen ich angesichts der Gefahr ebenfalls an nichts anderes als den nächsten Schritt denken hatte können.

Vermutlich passt es dazu, dass ich in den Tagen nach den Allgäuer-Schneefeldern teilweise zwei Etappen in einem ging. So lange, bis ich nicht mehr konnte und zumindest die Müdigkeit mich zwang, nicht nur an den nächsten und nächsten und überübernächsten Schritt zu denken. Sondern daran, was es ist, das einen jeden Tag wieder weggehen lässt. Weggehen und ankommen. Und einem vor Augen führt, dass diese Reise alles andere als etwas flüchtig Geträumtes ist. Sondern so wirklich wie selten etwas - gerade weil sie derart unvernünftig ist. (Martin Prinz/DER STANDARD/rondo/18.7.2008)

 

Am Lamsenjoch waren die Trittspuren noch zuverlässig, aber immer wieder setzt dem Autor der Schnee zu, wenn es auch im Tal schon sommerlich grün ist. Fotos: Martin Prinz