Eine Erwiderung auf Franz Klug (Standard, 15.7.).

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Franz Klug tritt für eine "halbdirekte Demokratie" ein und befürwortet EU-weite Volksabstimmungen. Seine Replik auf meinen Kommentar enthält konstruktive Ideen und stellt jene Grundsatzfragen, die beim Schielen auf Kronen Zeitung und Umfragedaten aus dem Blickfeld geraten. Ich möchte seine Überlegungen nur durch drei skeptische Anmerkungen ergänzen:

1. In der Schweiz dienen Volksabstimmungen vor allem dazu, Entscheidungsblockaden durch extremen Föderalismus und Regierungsproporz aufzulösen. Und umgekehrt verhindert die institutionalisierte Teilung der Macht zwischen Kantonen und Parteien, dass die plebiszitäre Demokratie in exzessiven Populismus abrutscht. Inzwischen ist dieses Modell durch den Aufstieg der rechtspopulistischen SVP in eine Krise geschlittert.

Unglaubwürdiges Mittel

Die extrem niedrige Wahlbeteiligung trägt nicht zur Glaubwürdigkeit dieses Modells bei. In Österreich stehen Bundesstaats- und Wahlrechtsreformen zur Debatte, die uns vom Schweizer Modell entfernen würden. Ob Volksabstimmungen gut für die Demokratie sind, hängt daher vom politischen System ab. In zentralistischen Staaten mit starken Präsidenten und Einparteienregierungen werden sie zur gefährlichen Versuchung für die Mächtigen, Opposition auszuschalten.

2. EU-weite Volksabstimmungen sind im Gegensatz zu nationalen Plebisziten über EU-Reformen demokratisch legitim. Ob sie auch die europäische Integration fördern, ist nicht von vornherein klar. Denn die Formel der doppelten Mehrheiten (auf Bundesebene und in den getrennt gezählten Gliedstaaten) setzt ja voraus, dass die Schweiz eben keine Konföderation mit variabler Geografie ist, deren Kantone jeweils entscheiden, ob und wie sie ein Bundesgesetz implementieren oder ob sie aus dem Bund austreten. Nehmen wir an, bei einer EU-weiten Volksabstimmung über einen Reformvertrag stimmt eine überwältigende Mehrheit in Österreich dagegen, aber eine Mehrheit der anderen Staaten und aller Unionsbürger dafür. In den Augen der EU-Gegner wäre das doch das stärkste Argument für den Austritt. Heute ist eine Mehrheit der Österreicher mit der EU unzufrieden, aber für eine weitere Mitgliedschaft. Das könnte sich nach einer Volksabstimmung, bei der Österreich sichtbar gegen den Rest der EU steht, ändern. Daher spricht einiges für Erhard Buseks Vorschlag, die Austrittsfrage zuerst einmal durch eine nationale Volksabstimmung zu klären. Sonst wird es auch bei einer EU-weiten Volksabstimmung indirekt immer um die Frage gehen, wer mitmacht und wer draußen bleibt.

Parlament nicht ersetzbar

3. Eine EU-weite Volksabstimmung sollte die Ratifizierung durch die nationalen Parlamente jedenfalls nicht ersetzen, sondern bestenfalls ergänzen. Demokratische Legitimität für die Regeln, nach denen die EU funktioniert, kann in erster Linie durch die Einbindung der gewählten nationalen und europäischen Abgeordneten in den Reformprozess gestärkt werden. Ein größeres Gewicht der Parlamente könnte auch den Populisten schon im Vorfeld das Wasser abgraben. Sie müssten dann nämlich ihre Gegenvorschläge in den Volksvertretungen zur Debatte stellen.

Nichts schadet der EU-Reform so sehr wie der Eindruck, dass die Regierungen in Brüssel Entscheidungen treffen, die sie gegenüber ihren Wählern zu Hause nicht verteidigen können. Die Debatte um die Reform der EU muss daher nach Hause gebracht werden, dorthin, wo Entscheidungen über Österreichs Zukunft zu treffen sind: nicht in der Kronen Zeitung, sondern im Parlament.  (DER STANDARD, Printausgabe, 16.7.2008)