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Der Kulturpalast in Warschau.

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Und dieser Blick bietet sich vom Kulturpalast aus auf die Stadt.

Grafik: DER STANDARD

Dem Schutt und Staub einer zu achtzig Prozent zerstörten Stadt entstieg Warschau in beeindruckender Manier. In der Altstadt ließen Architekten und Denkmalpfleger Stein auf Stein setzen, in bewährter Bautradition alter Meister aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Historische Pläne und Gemälde dienten als Vorlage. Heute ist den Bürger- und Patrizierhäusern, den Renaissancefassaden und den barocken wie klassizistischen Elementen nicht anzumerken, dass sie keine sechzig Jahre alt sind.

In den Gassen rund um den Rynek Starego Miasta, den Marktplatz, hat sich das Flair eines historischen Zentrums wiedereingestellt. Die Unesco würdigte diesen detailgetreuen Wiederaufbau sogar mit einem Eintrag in die Liste des Weltkulturerbes. Stück um Stück eroberten sich die Warschauer ihre Vergangenheit zurück, das ausgebrannte und gesprengte Königsschloss kam erst ab 1971 an die Reihe. 17 Jahre lang dauerte die Rekonstruktion des historischen Wahrzeichens.

Und doch ist Warschau kein Museum. Die Metropole mit ihren 1,7 Millionen Einwohnern unterscheidet sich in ihrer Geschäftigkeit, ihrem wirtschaftlichen Ehrgeiz und kulturellen Puls nicht von westeuropäischen. Warschau ist jung, Warschau ist schnell, Warschau ist laut - und manchmal verstopft. An der Weichsel werden die Weichen gestellt, hier laufen die Fäden zusammen. Die Silhouette wächst - vor allem nach oben. Ein Büroturm spiegelt sich im anderen, Glas und glatter Stein atmen Moderne. Die Warschauer Börse zählt heute zu den schnellstwachsenden der Welt. An Luxushotels und edlen Boutiquen fehlt es nicht. Auch nicht an Zerstreuung: Fast schon wird die Wahl zur Qual zwischen 38 Theatern, Oper, Kammeroper, Philharmonie, 48 Museen, 74 Kunstgalerien und 41 Kinos.

Lokale Wissenschaft

Überall beleben Restaurants, Bars, Kaffeehäuser und Szenelokale die Viertel - kein Wunder bei über 200.000 Studierenden, die in 70 staatlichen und privaten Hochschulen oder in wissenschaftlichen Institutionen eingeschrieben sind. Immerhin ein Drittel der Warschauer ist jünger als 25 Jahre. Aufbruch liegt in der Luft und vor allem Ehrgeiz. Da ist zum Beispiel die Gymnasiastin Barbara Marianna Wasilewska. In einem landesweiten Wettbewerb in deutscher Sprache und Kultur, die durchaus wieder en vogue ist, hat sie sich als eine der Besten qualifiziert: Im Juni empfing der deutsche Bundespräsident Horst Köhler die Prämierten in Berlin. Kein Zweifel: Barbara Marianna will vorankommen.

Bildung, Glanz und Fortschritt ist das eine Gesicht der Weichselstadt. Auf der anderen Janushälfte mühen sich die gesellschaftlichen Verlierer, über die Runden zu kommen. Das Stadtviertel Praga östlich der Weichsel galt lange Zeit als verrufen. Heruntergekommene Mietskasernen aus dem 19. Jahrhundert reihten sich aneinander. Doch in den vergangenen Jahren haben Künstler und Studenten das Viertel für sich entdeckt, und vieles wurde saniert.

Mittendrin: Inseln der Ruhe. So der Lazienki-Park an der Ujazdowskie-Allee: ein englischer Garten mit Sommerpalast, Amphitheater und Klavierkonzerten unter freiem Himmel. Viel Natur hat die Stadt, schließlich soll sie eine der grünsten Großstädte Europas sein. Abseits des Verkehrsstromes sucht auch Barbara Mariannas Vater, der Banker Miroslaw Wasilewski, Erholung: "Ich spaziere gern vom Nationalmuseum durch das Museum der Polnischen Armee bis zum Parlament und dann über die Trasa Lazienkowska zum Zentrum der Modernen Kunst. Von da aus gehe ich entweder zum Agrykola-Park oder zum Lazienki-Park oder zum Botanischen Garten", verrät er. "Wer die wichtigsten Sehenswürdigkeiten schon kennt, wird diesen Teil der Warschauer Geschichte schätzen."

Königsweg zwischen Palästen

Wer die touristischen Sterne noch nicht gesehen hat: Der Königsweg ist einer davon. Er beginnt am Schlossplatz und führt zum Schloss Wilanów. Das Ende des 17. Jahrhunderts zur königlichen Residenz umgebaute Schloss gilt als schönster Barockbau Polens.

Und schließlich ist da noch der Kultur- und Wissenschaftspalast am Plac Defilad, mit 234 Metern das höchste Gebäude der Stadt. Ein Blickfang und Aussichtsturm für jeden Neuankömmling, auch wenn das einstige Geschenk Stalins bei Einheimischen gemischte Gefühle auslöst. Der monumentale Palast mit seinen 3288 Räumen ist im Zuckerbäckerstil erbaut - und heute umringt von neuen Glaspalästen.

Heute hat in dem ungeliebten Bau die Jazz-Szene Einzug gehalten. Jeden Herbst findet hier das Jazz-Jamboree statt und auch der Klub Jazzgot hat im Kulturpalast sein Domizil. Miroslaw Wasilewski schwärmt allerdings für den Tygmont Jazz Club in der Mazowiecka-Straße: "Jazzkonzerte auf hohem Niveau, und das kostenlos", sagt er augenzwinkernd: "Man muss nur etwas zu essen bestellen oder wenigstens etwas trinken - ein polnisches Bier reicht."

Kaum Spuren hinterlassen hat die einst bunte jüdischen Szene - immerhin lebte in Warschau eine der größten jüdischen Gemeinden Europas. Nur noch die Nozyk-Synagoge und das Jüdische Theater sind geblieben. An der Ulica Zamenhofa erinnert ein Denkmal an die Helden des Ghettos. Die Geschichte der jüdischen Bevölkerung Warschaus, ihrer Religion, ihrer Kultur und ihres Untergangs während des Zweiten Weltkriegs zeigt das Museum des jüdischen historischen Instituts. Im Zeichen der jüdisch-polnischen Geschichte und der deutsch-polnischen Beziehungen steht das neue Jüdische Museum, das 2010 im Muranów-Viertel als "Museum der Geschichte polnischer Juden" eröffnet werden soll. Der frische Entwurf zweier finnischer Architekten hat sogar namhafte Konkurrenz wie Daniel Libeskind hinter sich gelassen.

Bezug auf die jüdische Vergangenheit vor 1939 nimmt auch das Kellerrestaurant "Warszawa-Jerozolima Restauracja & Pub Spiewajacych Kelnerow", kurz: das "Restaurant der singenden Kellner". Es liegt unterhalb des früheren Warschauer Ghettos, polnisch-jüdische Küche wird hier wieder serviert, und zumeist herrscht ausgelassene Stimmung. Die Spezialität des Hauses: Gäste, die etwas zu feiern haben, werden hier aus voller Kehle von den Kellnern besungen. Für Heiterkeit ohne besonderen Anlass gibt es ein überkomplettes Karaoke-Equipment. (Laelia Kaderas/DER STANDARD/Printausgabe/12./13.7.2008)