Paris/Madrid/Stockholm/Helsinki/Rom – Die unabhängige französische Tageszeitung "Le Monde" schreibt: "Die weltweite Zahl der Demonstranten gegen den Irak-Krieg am vergangenen Wochenende war beeindruckend. Die meisten Menschen demonstrierten in den Ländern, deren Regierungen die Position der Amerikaner unterstützt. Das gilt auch für (den britischen Premier) Tony Blair. Er wird eine neue, komplizierte Partie spielen müssen. Um seine öffentliche Meinung wiederzugewinnen, wird er versuchen, überzeugte Kriegsgegner von denjenigen zu trennen, die einen Militärschlag außerhalb der UN ablehnen. Deshalb tritt Blair für eine zweite UN-Resolution ein. Es wird jedoch schwierig sein, eine Mehrheit im UN-Sicherheitsrat dafür zu gewinnen. Madame (Margaret) Thatcher hat ihre Popularität mit dem Falkland-Krieg wiedergewonnen; Tony Blair könnte die seine durch einen Irak-Krieg verlieren."

Die linksliberale französische Tageszeitung "Liberation": "Die Existenz einer öffentlichen Meinung Europas angesichts eines drohenden Krieges gegen den Irak zeigt, dass das Gewissen bei den Bevölkerungen stärker ausgeprägt ist als bei so manchen ihrer Regierenden, die die Atlantische Allianz vor die europäische Solidarität gestellt haben. Und was die Stärkung des deutsch-französischen Paares seit Beginn der Irak-Krise anbelangt, so nimmt sie die Ausmaße eines historischen Neubeginns – zusammen mit einem überraschenden Belgien – im Herzen Europas an. Dieser Pol der Festigkeit kann die Rolle eines Motors für ein stotterndes Europa übernehmen, sobald sein Konzept klar wird. Dadurch könnte (Präsident) Jacques Chirac für sich große europäische Perspektiven entdecken."

"Ansonsten sind die Europäer am Ende"

Die Turiner Zeitung "La Stampa": "Was für eine Anstrengung dieses Europa doch ist! (...) Aber es ist der Krieg, die Möglichkeit des Krieges, was den Prozess der ideologischen Klärung beschleunigt sowie die europäischen Institutionen auf die Probe stellt. Angesichts der Irakkrise sind die Europäer gezwungen, sich intensiv zu konsultieren, sind sie darauf angewiesen, dass ihre Mechanismen für eine gemeinsame Regierung funktionieren – ansonsten sind die Europäer am Ende. (...) Dass die Entscheidung eine gemeinschaftliche ist, das ist heute fast noch wichtiger als ihr Inhalt."

Die Mailänder Zeitung "Corriere della Sera": "Die europäischen Regierungen, die von der griechischen Präsidentschaft eingeladen waren, auch in der Irak-Frage ihre alte Kultur des Kompromisses wieder zu entdecken, haben viel gelächelt, aber sich gegenseitig nichts geschenkt. (...) Das entscheidende Element ist dabei wieder einmal die Zeit: Wenn es richtig ist, die Entwaffnung des Iraks zu verlangen, und wenn es ferner richtig ist, den UN-Waffeninspekteuren mehr Zeit zu geben, bevor man von einem Einsatz der Waffen spricht, wie gelingt es dann aber, die Zeit zu quantifizieren, die (UN-Chefwaffenkontrolleur) Hans Blix noch zur Verfügung haben soll?"

Europa bleibt trotz Einigung gespalten

Die linksliberale spanische Zeitung "El Pais" (Madrid): "Für den Augenblick hat sich in der EU der deutsch-französische Ansatz durchgesetzt, den UN-Waffeninspekteuren im Irak mehr Zeit zu geben. Aber wie viel Zeit? Für die USA wird die Lage immer komplizierter, denn der Massenaufmarsch von Soldaten entwickelt zunehmend eine eigene Dynamik. Die Haltung der Regierungen in Europa bleibt trotz der Einigung gespalten. Der Streit wird erneut ausbrechen, wenn die USA im UN-Sicherheitsrat den Entwurf für eine neue Resolution einbringen, die die Anwendung von Gewalt im Irak eindeutig billigt. Europa hat sich auf dem Sondergipfel nicht in zwei Lager gespalten. Aber es hat auch gezeigt, dass es nicht in der Lage ist, in einer so schweren Krise wie der jetzigen eine gewichtige Rolle zu spielen."

Die liberale schwedische Tageszeitung "Dagens Nyheter" (Stockholm): "Die NATO hat sich zu guter Letzt auf Hilfe an die Türkei für den Fall eines Irak-Krieges geeinigt. (...) Die Wunden aber bleiben. Gleichzeitig kämpfen EU und UN darum, einen Teil ihrer Bedeutung auf der internationale Szene zu bewahren oder zurückzuerobern. Schlimmstenfalls bezeugen wir derzeit den Untergang aller drei Institutionen. (...) Die Schuld kann nicht nur auf die geschoben werden, die sich der amerikanischen Politik widersetzt haben, sondern auf die Absender selbst. (...) Dessen Vertrauen in die internationale Zusammenarbeit generell und die internationalen Organisationen im Besonderen ist schwach entwickelt. Die USA pflegen einen "Multilateralismus a la carte". Das beinhaltet die selbst zuerkannte Freiheit, internationale verankerte Beschlüsse nach Belieben anzuerkennen oder zu ignorieren. (...) Die Welt braucht amerikanische Führerschaft, aber keine amerikanische Dominanz."

Kein Eindruck auf Präsident Bush

Die liberale finnische Tageszeitung "Hufvudstadsbladet" (Helsinki): "Wer glaubte, dass die massiven Demonstrationen gegen die Kriegspläne der USA Eindruck auf Präsident Bush machen würden, wurde enttäuscht. Amerikanische Politiker und Massenmedien kritisieren mit zunehmender Ironie und Arroganz alle und vor allem die europäischen Freunde, die nicht hinter ihrer Linie stehen. Das bedeutet, dass die Kluft zwischen Europa und den USA wächst, während gleichzeitig ein Angriff gegen den Irak immer näher rückt. Die Tatsache, dass auch Hunderttausende Amerikaner mit vielen Prominenten an der Spitze den Krieg verurteilen, hat keine freundlichere Stimmung gegenüber Europa erzeugt. Nein, die allgemeine Überzeugung herrscht nun vor, dass Europa und vor allem Frankreich sowie Deutschland jetzt das Land im Stich lassen, das sie vor den Nationalsozialisten gerettet hat."

Die liberale tschechische Zeitung "Mlada fronta Dnes": "Der meist galant auftretende Chirac hat also die diplomatischen Samthandschuhe beiseite geworfen und den Kandidatenländern kindisches, gefährliches und dummes Verhalten vorgeworfen – und warum? Sie hatten sich erlaubt, anderer Meinung als der französische Präsident zu sein. Angesichts der Kritik, der Paris selbst wegen seiner Haltung im Irak-Konflikt ausgesetzt ist, ließe sich Chiracs Aufregung vielleicht noch verstehen. Aber der Präsident ist weiter gegangen und hat den künftigen Mitgliedern erste Konsequenzen für deren Haltung angekündigt. Nur kurz zuvor hatte er noch gesagt, die Krise in der EU sei beigelegt. Das ist sie mitnichten – Chirac hat sie neu entfacht." (APA/dpa)