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Berühmter Wachsymdrom-Patient: Der ehemalige Fußball-Profi Jerzydes Hawrylewicz vom VfB Oldenburg war bei einem Landesligaspiel vor elf Jahren auf dem Platz zusammengebrochen. Sein Trainer Klaus-Peter Nemet rettete ihm per Mund-zu-Mund-Beatmung das Leben. Dennoch blieb Hawrylewicz' Gehirn acht Minuten ohne Sauerstoffzufuhr. Seitdem leidet der frühere Zweitliga-Akteur an der Krankheit.

apa/dpa/schuhmann

Wien - "Hallo, schauen Sie zu mir." Der Therapeut spricht langsam mit seiner Patientin, die am Bett kauert. Er kniet vor ihr. "Versuchen Sie, sich groß zu machen. Ich halte Sie, verlagern Sie ihr Gewicht nach vorne - und zurück. Nach vorne - und zurück." Die Frau lässt sich führen. Rührt sich aber nicht. Sie lernt sitzen.

Sie ist 52 Jahre alt und Mutter zweier Kinder. Eines Tages ist sie beim Einkaufen zusammengebrochen. Seither befindet sie sich in jenem Zustand, den Mediziner apallisches Syndrom oder "Wachkoma" nennen. Für Primar Johann Donis ist sie "wie ein Neugeborenes, das sich langsam entwickelt".

Nach Ansicht von Donis ist das apallische Syndrom "der schwerste Grad einer Behinderung", der vorstellbar ist. 400 Österreicher sind alljährlich davon betroffen. Überdurchschnittlich viele von ihnen sind noch sehr jung. Sie sind nach Auto- oder Motorradunfällen ins Wachkoma gefallen.

Angehörige kommen, um zu füttern

Im "Familienzimmer" der Neurologischen Abteilung im Geriatriezentrum Wienerwald liegen neben der 52-jährigen Frau noch vier andere Patienten und Patientinnen. Ihre Angehörigen werden in die Pflege eingebunden - "so viel wie nur möglich", erklärt Schwester Anita Steinbach. Die Eltern von Anne kommen regelmäßig, um sie etwa mit Apfelmus zu füttern, sanft zu massieren oder ihr einfach nur etwas zu erzählen. Das ist Teil des intensiven Pflegekonzepts.

"Die Pflege muss nach einem bestimmten Ritual erfolgen", sagt Schwester Steinbach. Sie spricht leise mit Anne, einer früheren Studentin; streicht ihr über die Schulter. Für jeden Patienten und jede Patientin wurde in Absprache mit der Familie ein persönlicher Morgengruß festgelegt, der steht auf einem Zettel über jedem Bett. "Da sind Fotos, wie die Patienten früher ausgesehen haben", deutet die Schwester zur Wand, "das ist wichtig für uns, damit wir die frühere Persönlichkeit von unseren Schützlingen kennen."

Pro Patient ein persönlicher Betreuer

Rund um die Uhr sei man hier im Einsatz, um die 25 Patienten der Station zu versorgen. Der Pflegebetrieb muss extrem flexibel gehalten werden. Wenn die Patienten länger schlafen möchten, dann wird eben die Therapie verschoben. "Wir beobachten immer, was sie gerade brauchen", betonen Steinbach und Oberarzt Gottfried Frischenschlager. Daher ist auch das Betreuungsverhältnis - sperrig der "Pflegeschlüssel" - eins zu eins. Jeder Patient hat also einen persönlichen Betreuer.

Anne ist jetzt fertig angezogen. Sie sitzt im Rollstuhl in dem bunt geschmückten Familienzimmer. Ihr Kopf wird von einem Gurt gehalten. Alleine kann ihn die ehemalige Studentin nicht halten. Damit ihre oft scheinbar ins Leere gehenden Blicke sich festhaken können, sind papierene rosa Kreise, grüne Dreiecke und lila Quadrate an Wände und Decke geklebt.

Für Abteilungsvorstand Donis ist es unfassbar, dass in medizinischen Fachkreisen und unter der zunehmenden Ökonomisierung der Medizin eine Ethikdiskussion stattfindet, ob "das Menschen sind". Er berichtet, dass im angloamerikanischen Raum, "all die Patienten, die wir hier haben, nicht mehr leben würden". In den USA oder Großbritannien etwa gebe es strenge Richtlinien für Apalliker. Würden diese nicht innerhalb eines Jahres entsprechende Lebenszeichen selbstständig von sich geben, würden ihre Lebensfunktionen nicht weiter erhalten. Dann wähle man den Weg des "würdevollen Sterbens".

Intensive Pflege für den Rest des Lebens

In Mitteleuropa hingegen lautet die Philosophie anders: "Wie gestalte ich den Schwerstbehinderten ein würdevolles Leben?" Dazu liefert Donis nüchterne Zahlen: Ein Drittel der Apalliker würde innerhalb eines Jahres sterben, beim zweiten Drittel bessere sich der Zustand, "die können zurück ins Leben". Alle anderen Patienten würden nie mehr "aufwachen", sie müssen zeitlebens intensiv gepflegt werden. So wie jene sechs Menschen, die in einem eigenen Zimmer auf der Station liegen, umgeben von vielen Apparaten und Stofftieren, die ihnen Verwandte ins Bett gelegt haben.

Für Donis und seine Mitarbeiter am Geriatriezentrum war es ein besonderes Zeichen, dass sein Projekt "Apalliker Care Unit" mit dem "Golden Helix", einem internationalen Qualitätspreis, ausgezeichnet wurde. (Andrea Waldbrunner/DER STANDARD, Printausgabe, 17.2.2003)