Berlin/Zürich/München/Wien/London/Turin/Mailand/Genf - Mehrere europäische Zeitungen beschäftigen sich am Samstag mit den Waffenbericht der UNO-Inspektoren vor dem Sicherheitsrat:

"Tagesspiegel" (Berlin): "Der Ton muss sich ändern. Amerika muss den Verdacht zerstreuen, ohnehin zum Krieg entschlossen zu sein. Washington hat auf Druck seiner Verbündeten die UN eingeschaltet. Allein deren Resolutionen dürfen das Handeln der USA bestimmen. Alle sonstigen Erwägungen - Befreiung des Irak, Demokratisierung des Nahen Ostens - sind hinfällig. Was muss passieren, damit der Krieg ausbleibt? Vor einer Antwort auf diese Frage darf sich die US-Regierung nicht länger drücken. Was muss passieren, damit der Krieg beginnt? Diese Frage wiederum muss die Bundesregierung beantworten. Denn einstimmig hat der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1441 verabschiedet, die dem Irak für den Fall eines Verstoßes 'ernste Konsequenzen' androht. Berlin hat diese Resolution begrüßt. Die oberste Maxime deutscher Politik darf daher nicht die Kriegsverhinderung als Selbstzweck sein, sondern die Entwaffnung Saddams."

"taz - die tageszeitung" (Berlin, linksliberal): "Die befürchtete Steilvorlage für die Kriegspläne aus Washington und London war das nicht, was UN-Chefinspektor Hans Blix und der Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde, Muhamad al-Baradei, gestern vor dem Sicherheitsrat berichteten. In Kurzform: Der Irak muss noch aktiver werden, aber die Inspektoren kommen voran, und ihre Möglichkeiten werden immer besser. Ein Erfolg des Beharrens auf Inspektionen, sagen die einen; ein Erfolg der militärischen Drohkulisse, sagen die anderen. Egal, wer recht hat: Die bisherige Strategie ist erfolgreich; es gibt keinen Grund, sie zu ändern und mit einer weiteren Sicherheitsratsresolution auf einen raschen Krieg hinzusteuern. Auch den USA und Grossbritannien war es gestern klar, dass das die Mehrheit des Sicherheitsrates so sehen würde, und so hielten sie ihre Pläne zurück. Allerdings: Was ihnen zunächst den Wind aus den Segeln nimmt und den Kriegsgegnern vermutlich ein bis zwei Wochen mehr Spielraum verschafft, erhöht gleichzeitig noch einmal den Druck auf den Irak. (...) Ganz offensichtlich hat die französisch-deutsche Initiative, den Waffeninspektionen mehr Zeit und eine bessere personelle und materielle Ausstattung zu verschaffen, zunächst eine Mehrheit für den Krieg verhindert. Das ist ein Erfolg, der vor einigen Wochen kaum zu erwarten war. Verhindert aber ist der Krieg damit noch nicht."

"Neue Zürcher Zeitung": "(Chef-Waffeninspektor Hans, Anm.) Blix hat erklärt, viel wichtiger als zusätzliche Inspektoren sei, dass der Irak endlich vollständig kooperiere. Darauf allerdings kann man lange warten. Uno-Inspektoren sind nicht in der Lage, Saddam Hussein zu irgendetwas zu zwingen - und seien sie auch in viel grösserer Zahl als bisher im Irak tätig. Das Regime rückt nur mit so viel Information heraus wie unbedingt notwendig, um den Tag der Abrechnung hinauszuschieben. (...) Es wäre überfällig, dass Washington und seine Verbündeten einen letzten Versuch unternähmen, das in jüngster Zeit zerschlagene Geschirr beiseite zu räumen und sich auf einen festen Zeitplan zu verständigen. Es wäre bei gutem Willen durchaus möglich, eine Resolution zu verabschieden, die noch etwas Zeit einräumt, diese aber eindeutig begrenzt und zugleich klar die Ermächtigung für eine Militäraktion nach Ablauf dieser Frist enthält. Auf diese Weise könnte der Sicherheitsrat etwas Autorität für künftige Erfordernisse retten. Es ist offensichtlich, dass die Amerikaner ihren Aufmarsch am Golf nicht endlos weiterziehen werden und dass niemand sonst die Mittel einsetzen will, um den Irak in Einklang mit Uno-Entschliessungen zu bringen. Der Sicherheitsrat verfügt über keine Divisionen; er hat keine Sanktionsgewalt. Fraglich, ob ihm von den Veto-Mächten diese je zugestanden wird."

"Süddeutsche Zeitung" (München, liberal): "Der gesamte UN-Sicherheitsrat wird wohl noch eine kurze Zeit im Stadium der Unsicherheit zucken und um eine neue Resolution zur Legitimierung des Krieges ringen dürfen. Dann muss er sich fügen - oder er wird zum Schweigen verdammt sein. Schon jetzt sitzt das oberste Gremium der Weltgemeinschaft in einer Falle, und US-Außenminister Colin Powell hat deutlich gemacht, dass sich kein Schlupfloch öffnen wird: Aus der UN-Resolution 1441, die alle Mitglieder des Sicherheitsrats abgesegnet haben, ließe sich tatsächlich die Nutzlosigkeit weiterer und stärkerer Inspektionen herauslesen. Denn es geht nicht darum, dem Diktator mit aller Macht auf die Schliche zu kommen. Er selber muss liefern, und die Inspektoren haben nur die Hand aufzuhalten. Er hat zu wenig geliefert, das ist klar. Doch das bedeutet im Umkehrschluss noch immer nicht, dass er so viel verbirgt, dass er die von den Amerikanern beschworene Gefahr für den Weltfrieden darstellt. Es heißt auch nicht, dass weiterer Druck auf Saddam erfolglos sein muss. (...) Doch es geht den Amerikanern offenkundig weniger ums Recht als um Rechthaberei. Wer behauptet, der Fund einer Rakete, die statt der erlaubten 150 ein paar Kilometer weiter fliegen kann, rechtfertige einen Krieg, der macht sich fast lächerlich - zumal angesichts nordkoreanischer Atomraketen, die nach Angaben eines amerikanischen Vize-Generals die Westküste der USA erreichen könnten. Wer behauptet, ein ominöses Bin-Laden-Tonband beweise die Verbindung zwischen Al Kaida und dem Regime in Bagdad, der macht sich verdächtig. Und wer aus diesen Bruchstücken eine Argumentationskette bastelt, der ist für Argumente wohl kaum noch erreichbar."

"Daily Mail" (London, konservativ):

"(Chef-Waffeninspektor) Hans Blix hat (den britischen Premier) Tony Blair in genau jene Lage gebracht, in die dieser niemals kommen wollte, als er sich entschied, die amerikanische Kampagne zur Entwaffnung von Saddam Hussein (irakischer Machthaber), zu unterstützen: Allem Anschein nach ist er nun auf der gleichen Seite gestrandet wie das reaktionäre Weiße Haus, und die öffentliche Meinung zu Hause und rund um die Welt ist in überwältigender Weise gegen die Anwendung von Gewalt im Irak. Der Premierminister ist ein Optimist. Aber der Albtraum, der jetzt sogar Blairs Schlaf stören muss, ist, dass er seine Partei spaltet, um einen Krieg zu führen, der schief geht - wodurch Blair selbst eines der Kriegsopfer werden könnte. Das gleiche könnte der NATO widerfahren."

"Guardian" (London, linksliberal):

"Das war nicht die klare Botschaft, die Tony Blair hören wollte. Seine eigene Partei ist in erbitterter Gegnerschaft zu seiner Irak-Politik, der Öffentlichkeit ist alles andere als wohl dabei, und heute gibt es große Anti-Kriegs-Demonstrationen in London und rund um die Welt: Da brauchte er von UNO-Chefinspektor Hans Blix dringend klare Beweise für Saddam Husseins andauernden Betrug. Stattdessen hat der mit Spannung erwartete Bericht die Friedensdemonstranten nur ermutigt und den Widerstand von Ländern wie Frankreich und Deutschland gestärkt. Alles scheint sich zu einem Albtraum für den Premierminister zu entwickeln. Nur wenn es ihm gelingt, trotz aller Widerstände eine zweite UNO-Resolution zu bekommen, kann er noch darauf hoffen, die Stimmung zu ändern."

"La Stampa" (Turin):

"(US-Außenminister Colin) Powell hat eine Verlängerung (der Inspektionen) zugestanden, die jedoch wie ein Ultimatum klingt. (...) Vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinten Nationen hat die Rede des Chefs der amerikanischen Diplomatie keinen Beifall erhalten. Dies beweist das sehr gespannte Klima im Saal des Weltsicherheitsrates, aber auch die Tatsache, dass die Supermacht nur auf eine eindeutige Unterstützung, jene des treuen Verbündeten Großbritannien, zählen konnte. (...) Eine klare Spaltung also, die die Zeiten des Kalten Krieges in Erinnerung gerufen hat."

"Corriere della Sera" (Mailand):

"Jetzt steckt (US-Präsident) George Bush und nicht (der französische Präsident Jacques) Chirac, wie manche vorhergesagt hatten, in einem schweren Dilemma. Ist es besser, auf eine zweite Resolution zu setzen, in der Hoffnung, dass Paris kein Veto ausspricht (...) oder auf die Deckung durch die UNO zu verzichten und auf den Auslöser zu drücken? Der nächste, für den 1. März vereinbarte Bericht der Inspektoren wird zur letzten Chance. Aber wie auch immer das Tauziehen um die Legitimierung des Angriffs ausgehen sollte, scheint es äußert unwahrscheinlich, dass Amerika gewillt ist, einen Rückzieher zu machen."

"Tribune de Geneve" (Genf):

"Eine einseitige amerikanische Intervention, das heißt ohne Absegnung der UNO, würde nicht nur das Regime von Saddam in Stücke reißen sondern auch das nach dem Krieg eingerichtete internationale Sicherheitssystem, das sicherlich nicht perfekt ist. Dieses hat sich in der Tat an zweifelhafte Staatschefs gewöhnt und seine Augen gegenüber einer Reihe von Hässlichkeiten (siehe Tschetschenien) geschlossen. Es hat sich aber auch das Verdienst erworben, dem Recht des Stärksten, welches die US-Regierung durchzusetzen versucht, eine Weltregelung gegenüber zu stellen, die auf Übereinstimmung und Recht, und in letzter Instanz auf das legitime Recht des UNO-Sicherheitsrates begründet ist." (APA)