Daniel Day-Lewis als Bill the Butcher, Leonardo Di Caprio als Amsterdam Vallon

Centfox

Das New York der frühen 1860er-Jahre, rekonstruiert in Roms Cinecittà-Studios

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Gangs of New York erzählt US-Geschichte vermittelt über ein steinaltes Erzählmuster: Der Film beginnt in New York anno 1846 mit der blutigen Auseinandersetzung zweier rivalisierender Banden. Die "Natives", so nennen sich die alteingesessenen, europäischstämmigen Einwanderer, nehmen Aufstellung gegen die irischen "Dead Rabbits". Im darauf folgenden Kampf mit Messern, Äxten und anderem martialischen Gerät unterliegen letztere den Mannen um "Bill The Butcher" (Daniel Day-Lewis). Ihr Anführer, "Priest" Vallon (Liam Neeson) fällt, und sein kleiner Sohn wird sechzehn Jahre später unter dem Namen Amsterdam und in Gestalt von Leonardo DiCaprio wiederkehren und langsam sein Vorhaben in die Tat umsetzen, den Tod des Vaters zu rächen.

Der junge Amsterdam wird dabei allmählich jedoch auch zu Bill the Butchers Vertrauensmann und der vorhersehbare Loyalitätskonflikt zwischen leiblichem und Ersatzvater zum zentralen Motor der Geschichte. Diese simpel gestrickte Konstellation erweitert sich - wie könnte es anders sein - auch noch um den Konkurrenzkampf um die einzig relevante Frauenfigur, die Trickdiebin Jenny (Cameron Diaz) . . .

Demgegenüber setzt der Film allerdings ein Fülle von historischen Anekdoten und Details: Gangs of New York erzählt unter anderem von zeitgenössischen Vergnügungen wie Burlesque-Aufführungen oder Boxkämpfen, von der Entstehung des Gemeinwesens und von den Klassenunterschieden. Der sich zuspitzende Konflikt zwischen Amsterdam und Bill the Butcher ereignet sich vor dem Hintergrund des beginnenden US-Bürgerkriegs und den Zwangsrekrutierungen für die Nordstaatenarmee, die schließlich zu den historischen, mehrtägigen Draft Riots von 1863 führten und zu zahllosen rassistisch motivierten Morden an schwarzen New Yorkern.

Diese beiden Ebenen des Films - die breit angelegte Chronik, die Bilder, in denen sich Heere von Statisten tummeln, und die Haupthandlung, deren Personal sich zunehmend auf Amsterdam, Jenny und Bill the Butcher reduziert - gehen letztlich nicht ineinander auf (die häufig auftauchende visuelle Figur, die das narrative Zentrum des Bildes fokussiert, während der Rest ein wenig unscharf bleibt, löst das auch nur unzureichend). Das liegt wohl daran, dass ihnen gewissermaßen zwei einander widerstrebende Erzählhaltungen zu Grunde liegen.

Der Film krankt noch an vielen anderen Dingen: Bereits zu Beginn, im Schlachtgetümmel, sind die verwischten Zeitlupen und der ambientartige Score eher irritierend. Die Quasi-Kommentare zur jüngsten Geschichte - "Die Auszähler entscheiden den Wahlausgang" u.ä. - wirken aufgesetzt. Und seine tragende Rolle verkörpert allein Daniel Day-Lewis souverän, dessen Spiel beständig an der Grenze zur Übertreibung balanciert - DiCaprio und Diaz wirken dagegen unendlich farb- und konturlos. Trotzdem bleibt Scorseses dreistündiges Epos sehenswert. Und wenn es auch nur daran liegt, dass man sich selten ein so deutliches Bild vom Scheitern machen konnte. (DER STANDARD, Printausgabe, 15./16.2.2003)