Der Feldweg ist bereitet.

Im ersten Teil unserer Zusammenschau in Sachen "Sport Utility Vehicle" ging es um Profit, Macht und Lobbying. Nun geht es um harte Fakten. Richtig harte Fakten. 1983 kam der Jeep Cherokee. Fortan sollte alles anders sein. Für sich genommen war der Cherokee eine Revolution und für viele das erste "Sport Utility Vehicle" überhaupt. AMC setzte auf eine zeitgemäße Uniframe-Karosserie und einen vergleichsweise kleinen 2,8-Liter-Motor.

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Der Wagen war ein voller Erfolg.

Erstmals stellte sich die urbane Mittelklasse in den Jeep-Schauräumen ein. AMC und damit Jeep gingen 1987 nicht zuletzt aufgrund dieses Verkaufs-Erfolgs an Chrysler. Im Windschatten des Cherokee multiplizierte sich der SUV-Markt von 1,79 Prozent im Jahr 1980 auf 6,49 Prozent im Jahr 1989. Doch das war erst der Anfang.

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1990 kam der Ford Explorer

Der Wagen war das Kind von Management-Legende Bob Lutz. Der umtriebige Auto-Mann - er arbeitete in Laufe seiner Karriere für jeden der Detroiter "Big Three" General Motors, Chrysler und Ford - ließ ein Gerät bauen, dem nur ein tieferer Sinn in die Karosserie gestanzt wurde:

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Profit, und zwar schnell.

Technisch war der Explorer im Vergleich zum Cherokee ein Rückschritt. Auf einem simplen Leiterrahmen aufgebaut, mit Uralt-Motoren ausgerüstet und im Schnellverfahren konstruiert war der Explorer ein anachronistisches Schlachtschiff ... aber er verkaufte sich phantastisch. Nun zogen alle Hersteller nach. Der SUV-Markt boomte.

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Warum SUVs?

SUVs sind klobige, unhandliche, technisch rückschrittliche und umweltfeindliche Monster. Sagen die einen. SUVs sind cool. Sagen die anderen. Sagt vor allem einer: Marktpsychologe Clotaire Rapaille. Der gebürtige Franzose hat sich im Zuge dutzender Projekte mit dem US-Automobilmarkt und den Kaufmotiven der Konsumenten auseinander gesetzt. Ihn zieht Keith Bradsher, Autor des Buches "High and Mighty – SUVs the most dangerous vehicles and how they got that way" zurate, um dem Phänomen SUV nachzuspüren. Rapaille hat einige Kaufargumente, extrahiert aus den Urinstinkten der von ihm erforschten Konsumenten, parat: Sicherheit ("If there is a crash, I want the other guy to die."), Komfort ("It´s aggressive in the outside, and it's the Ritz-Carlton on the inside."), Überlegenheit ("SUVs are armored cars for the battlefield").

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Das alles

behauptet Rapaille nicht, weil er es glaubt, sondern weil er es ERFORSCHT hat. Grundsätzlich attestiert Rapaille den Amerikanern den Hang zu "irrationalen Ängsten". Der durchschnittliche SUV-Käufer sei "eitler und gleichzeitig verunsicherter" als etwa Besitzer von Mini-Vans. Er sei "egoistischer", habe "geringeres Interesse an seiner sozialen Umwelt" und neige zu "Rastlosigkeit und geringem Selbstbewusstsein." "Er" kann aber auch eine "Sie" sein - mittlerweile greifen vermehrt Frauen zu SUVs. Bei Frauen, so Rapaille, stünde die suggerierte Sicherheit der Schlachtschiffe im Vordergrund. Sicherheit, die es so nicht gibt.

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3.000 Verkehrstote,

rechnet "High and Mighty"-Autor Keith Bradsher vor, gehen seit Beginn der Ära in den USA auf das Konto der SUV-Giganten. Der Journalist der "New York Times" wird in seiner Abrechnung nicht müde, die rollenden Rammböcke nicht nur als Gefahr für andere Straßennutzer, sondern vor allem für die Insassen selbst zu deklarieren. Sein Resümee: SUV-Fahrer wähnen sich in ihren Blechburgen in trügerischer Sicherheit. Lediglich bei der Kollision mit einem kleinen Wagen profitiere der SUV-Nutzer – zu Lasten des Unfall-Gegners. Die Ursache liegt für Bradsher auf der Hand: Antiquierte Technik, massive Konstruktionsmängel. Mit Ausnahme von Jeep wären alle US-Hersteller von der Seuche betroffen. Im Brennpunkt: Die Baujahre zwischen 1990 und 2000, etwa 15 Millionen Autos.

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Anhand zahlreicher Beispiele

arbeitet sich der SUV-Gegner durch eine opulente Mängelliste. Zu hohe Stoßstangen, fehlende Knautschzonen und Soll-Bruchstellen, zu langer Bremsweg aufgrund unterdimensionierter Bremsen, miserables Fahrwerk, zu hohes Gewicht, indifferente Lenkung und nicht zuletzt die ungleich höhere Gefahr, Opfer eines Überschlags zu werden. Aufgrund ihres hohen Schwerpunkts und der gerne aufgezogenen Ballon-Reifen würden sich US-SUVs ungleich öfter überschlagen, als konventionelle Fahrzeuge. Insgesamt, so weist Bradsher anhand von Statistiken nach, sei das Risiko in einen SUV tödlich zu verunglücken, um sechs bis acht Prozent höher.

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Die spektakulärste Unfallserie traf Ford.

Ende der Neunziger überschlugen sich Explorer-Geländewagen nach Reifenplatzern mit Firestone-Pneus reihenweise. Weltweit fanden fast 300 Menschen den Tod. Ford tauschte in Rückrufaktionen etwa 14 Millionen Reifen aus ... und suchte die Offensive: Bei Tests mit Konkurrenzfahrzeugen zeigte der Hersteller, dass sich auch andere Geländewagen überschlagen können, wenn ein Reifen platzt. Pech für die Detroiter: Was als Verteidigung gedacht war, wurde so zur Anklage gegen eine ganze Fahrzeuggattung.

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"SUVs sind die gefährlichsten Fahrzeuge der Welt",

resümiert Bradsher angesichts der eklatanten technischen Schwächen. Schwächen, die allein dem Profit-Denken der US-Hersteller geschuldet sind. Bis vor kurzem verzichteten sie im Gegensatz zu deutschen oder japanischen Produzenten auf umfangreiche Crash-Tests, Sicherheits-Features oder moderne, aber aufwändige selbsttragende Karosserien. Die Detroiter Produzenten wollten schlicht mit antiquierten, aber kostenschonend modifizierbaren Leiterrahmen-Konstruktionen neue SUV-Modelle in den Markt zu drücken. Es musste erst zu verheerenden Unfällen kommen, bis die Hersteller ihrer Safety-Packages nachbesserten.

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Neben den technischen Mängeln

sei der Mensch der größte Schwachpunkt des "Konzepts SUV", so Bradsher weiter. Neben der imposanten Größe würde vor allem der mitverbaute 4WD-Antrieb trügerische Sicherheit suggerieren. Bradsher: "Viele SUV-Fahrer glauben, Allrad-Antrieb würde mit besserer Bremsleistung einhergehen." Ein oft tödlicher Irrtum.

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Mittlerweile formiert sich

auch abseits der Sicherheits-Problematik der Protest gegen die SUV-Gigantomanie. Im Herbst vergangenen Jahres ließ etwa die Non-Profit-Organisation "Americans for Fuel Efficient Cars" mit einer Aufsehen erregenden Kampagne aufhorchen. Sie prangerte die fatale Verquickung des SUV-Booms mit der Abhängigkeit der USA vom Öl aus dem Nahen Osten und dem daraus resultierenden Anti-Amerikanismus an. US-Amerikaner würden mit dem Kauf der Benzin-Fresser indirekt den internationalen Terrorismus unterstützen. "I helped hijack an airplane" war da zu lesen. Eine Kausal-Kette wurde Anklage.

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Die Message kam an.

Zumindest bei vielen US-Amerikanern. Eine Sensiblisierung setzte ein, im Zuge der Debatte traten eklatante Schwächen im Anti-SUV-"Krisen-Management" zutage. So hatte die Umweltbewegung jahrzehntelang nichts gegen die Benzin-Fresser unternommen, ganz im Gegenteil, die Babyboomer waren die ersten, die – ganz "natural" – auf den SUV-Hype aufsprangen.

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Bei manchen Amerikanern

ist die Message noch nicht angekommen. Management-Guru Bob Lutz hat sich für die aktionistischen "What would Jesus Drive?"-Nonnen bereits eine markige Antwort zurecht gelegt: "Jesus würde Hummer fahren." (kommunikaze)

Links
What would Jesus Drive?
The Detroit Project
Vehicle Rollovers in Truck, Van and SUV accidents
NHTSA - National Highway Traffic Administration

Literatur
Keith Bradsher: High and Mighty. SUVs - The World's Most Dangerous Vehicles. Public Affairs, 2002.

(Sämtliche SUV-Werksbilder verstehen sich selbstverständlich ausschließlich als Symbol-Fotos.)

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