Am Anfang war das Huhn,

und es war gefroren. Tief gefroren.

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Am Ende war Jesus,

und er war eher nicht sehr mild gestimmt. Deutlich erzürnt sandte er ein paar aktionistische Nonnen und ließ sie bei den US-Konzernzentralen von GM und Ford vorfahren. Es war ein illustrer Konvoi, der sich in des Stellvertreters Namen den Weg zu den Automobil-Bossen bahnte. "Was würde Jesus fahren?" stand da medienwirksam auf den Wägen, allesamt Toyota-Hybrid-Autos, zu lesen. Nonnen in Toyotas - God bless America – der 20. November 2002 sollte kein guter Tag für die US-Autoindustrie werden. Der heilige Zorn richtete sich gegen ein Ungetüm, das seit Anfang der achtziger Jahre zu Hunderttausenden die amerikanischen Straßen heimsuchte. An drei Buchstaben sollst du es erkennen:

bild: what does jesus drive

S U V

"Sport Utility Vehicle". SUVs sind keine Autos, SUVs sind der in Blech und Chrom gegossene amerikanische Traum. Sie verkaufen sich dementsprechend blendend. Die monströsen Pickup-Trucks und Geländewagen sind die letzte Fahrzeuggattung, die die US-Industrie auf ihrem Heimatmarkt noch nahezu exklusiv beherrscht. Das ist die eine Seite. Die hochbeinigen Allradmonster sind gefährlicher als bisher angenommen. In mehrfacher Hinsicht. Das ist die andere Seite. Aber beginnen wir zur Abwechslung einmal von vorn.

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Der Aufstieg der SUVs

zum Dominator der US-Highways nahm seinen Anfang in den frühen sechziger Jahren. Zwischen Deutschland und den USA herrschte Krieg, Handelskrieg. Im Brennpunkt: Tiefgefrorene Hühner. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, damals bestehend aus sechs Ländern, wehrte sich gegen die Einfuhr von US-Tiefkühl-Henderln. Die verhängten Strafzölle riefen die Kennedy-Administration auf den Plan. Prompt wurde zurückgestraft. Das Ergebnis wurde 1964 unter Lyndon B. Johnson in einen Einfuhrzoll auf vier europäische Produkte gegossen.

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Unter ihnen: Der VW Bully Transporter.

Zwar spielten die deutschen "Vans" am US-Markt keine Rolle, die Wolfsburger waren jedoch die einzigen Europäer, die in prominenterer Zahl über den Atlantik verkauften. Deutschland war Anführer der Anti-Chicken-Bewegung. Aug um Aug, Zahn um Zahn: 25 Prozent Strafzoll auf alle deutschen Pickups und Vans ... und auf alle ausländischen gleich dazu. Der US-Markt blieb in der Folge über Jahrzehnte von Import-Konkurrenz verschont.

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Geländegängige Automobile

waren in den USA bis Anfang der siebziger Jahre bestenfalls Exoten. Lediglich Land- und Forstarbeiter, Jäger und Kleingewerbler legten sich die spartanischen Arbeitsmulis zu. Daran konnte auch Offroad-Urvater Jeep nur wenig ändern. Während des Zweiten Weltkriegs zehntausendfach an die US-Army verkauft, brach der Absatz nach Kriegsende ein. Jeep-Hersteller Willys-Overland verkaufte die Marke 1953 an den Industriellen Henry J. Kaiser.

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"Kaiser Jeep"

frischte einige Modelle - darunter den Jeep Station Wagon - etwas auf, blieb aber insgesamt mäßig erfolgreich. Im Grunde genommen war Jeep für Kaiser ein Flop. 1969 verkaufte er an American Motors. AMC, damals der kleinste der Detroiter Hersteller, unterzog Jeep in den Siebzigern einem kräftigen Relaunch, investierte in Fertigungsstraßen, zog ein neues Händlernetz auf und ... betrieb in Washington massives Lobbying.

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"We lobbied like hell",

erinnert sich der damalige AMC-Chefentwickler Gerald Meyers noch heute gerne an den von ihm inszenierten juristischen Shot-out. Meyers hatte eine Vision: Er wollte mit Jeep einen neuen Markt öffnen. Die Ölkrise und der Erfolg ausländischer Import-Autos setzten der Detroiter Industrie zu.

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Nur Pick-up-Trucks

blieben aufgrund von Steuer-Erleichterungen und der noch immer geltenden Strafzölle vom Schlimmsten verschont. Was nun folgte, war ein Hazard-Stück, das die Geschichte der Automobilindustrie bis zum heutigen Tag prägen sollte. Es war eine Chuzpe sondergleichen, die Meyers Hand in Hand mit den mächtigen Automobil-Gewerkschaften da ablieferte. Auf der Strecke blieb die Umwelt. Auf der Strecke blieben wahrscheinlich hunderte Menschen. Im wahrsten Sinne des Wortes.

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Es war alles ganz einfach:

Zuerst mussten die "passenden" Rahmenbedingungen her: AMC schraubte seine Jeep-Karosserien auf Pick-up-Rahmen. Ziel war es, die mittlerweile luxuriösen Geländewägen vor dem Gesetzgeber steuerschonend als "Light-Trucks" zu deklarieren. Zeitgerecht zu den US-Präsidentschaftswahlen von 1970, den Wähler fest im Blick, wurden unter Richard Nixon die "passenden" Gesetze erlassen.

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Quasi im Handstreich

nahm Meyers damit die Richtlinien des "Clean Air Act". "Die Light-Truck-Offroader" waren damit von den vorgeschriebenen Flottenverbrauchs-Limits ausgenommen. Dasselbe galt in weiterer Folge für sämtliche Sicherheitsvorschriften. Schließlich wurde das "steuerschonende" Soll-Gewichts-Limit von 4.500 Kilo auf massenmarkt-kompatible 3.825 Kilo Gesamtgewicht herunter geschraubt.

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Die US-Industrie hatte ihre Waffe.

Die wichtigsten Features: Die Hersteller blieben aufgrund der US-Strafzölle von europäischen und japanischen Importen verschont. Die Light-Trucks (der Begriff SUV wurde erst Ende der Achtziger geprägt) waren dank geringerer Besteuerung deutlich billiger. Die Entwicklungs- und Produktionskosten waren lächerlich gering. Dank fehlender Umweltstandards wurde antiquierte Technik verbaut. Bei den Motoren griffen die Hersteller tief ins Regal und zauberten teils in den 50ern entwickelte Benzin-Vernichter unter die Motorhaube. Ähnlich sah es bei Chassis und Karosserie aus: Keine Sicherheits-Standards, keine Kosten für sündteure Entwickler und Test-Reihen.

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Das ganze Paradoxon dieser Klasse

offenbarte sich jedoch im gesetzlich verordneten Soll-Gewicht: Die barocken Bomber MUSSTEN über 3.825 Kilogramm wiegen, um als "Light Truck" zu firmieren. Die logische Folge: Ein noch höherer Benzin-Verbrauch. Flottenverbrauch-Limits? Fehlanzeige.

foto: werk

Doch Goldgräber-Stimmung

wollte Ende der Siebziger noch nicht so recht aufkommen. Die US-Automobil-Industrie lag angesichts des Öl-Schocks am Boden. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte nur Jeep von den geänderten Rahmenbedingungen profitieren. Anfang der Achtziger brachten GM-Division Chevrolet den S-10-Blazer und Ford den Bronco II (Bild) an den Start. Der Stein kam ins Rollen. Aber es sollte bis Ende 1983 dauern, bis eine vollkommene Neuentwicklung die SUV-Lawine endgültig los treten sollte. Doch das ist eine andere Geschichte. Die erzählt Teil II ... (kommunikaze)

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What would Jesus drive?

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