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Wolf Haas

Foto: APA/Gindl

Graz/Wien – Ein Totentanz: Auf Bestellung der "Europäischen Kulturhauptstadt Graz" schickt Wolf Haas seinen Kommissar Simon Brenner nach Puntigam zurück. Aber auch ins Jenseits voraus: Mit dem ab Freitag im Handel erhältlichen und am 14. 2. im Grazer Schwarzenegger-Stadion präsentierten Roman Das ewige Leben endet spektakulär die Serie der Brenner-Romane, die mit Toten auf dem Skilift in Zell am See 1996 begonnen hatte ("Geschrieben habe ich das in England; wie das Graz-Buch jetzt großteils in Tokio", so Wolf Haas zum STANDARD):

Aus ist es mit einer Sprache, in welcher Haas das stumme Österreich in Leerformeln wie "Überall gibt es solche und solche" präsentierte und zwischen Salzburg, Wien und der Steiermark sowohl die Leichenteile wie auch Simon Brenners bedächtigen Humor verstreute.

Aus ist es mit Simon Brenner, der am Beginn des neuen Romans in der Grazer Klinik "Sigmund Freud" aus einem Schädeltrauma erwacht, am Ende aber – oh Gott, schweigen wir vom Ende. – "Soll ich das Ende erzählen?", fragt Wolf Haas: "Aber nicht verraten!" (Er erzählt es, aber der STANDARD verrät es nicht.) – Stattdessen hier ein Gespräch über die Darstellung einer Stadt und die Sprachlandschaft eines Kriminalautors:

STANDARD: Es ist aus. Graz ist schuld: der letzte Brenner. Unwiderruflich?

Haas: Ja. Aber nicht Graz ist schuld, sondern die Sprache. Mit der hat es in Die Auferstehung der Toten 1996 begonnen, und wie im katholischen Glaubensbekenntnis steht jetzt am Schluss Das ewige Leben. Das Verabschieden einer Serie ist spannend.

STANDARD: Wie ging es Ihnen mit der Auftragssituation?

Haas: Leicht. Das erste Buch wurde gegen alle Widerstände geschrieben, ohne Verlag, und das letzte jetzt umgekehrt – das freut mich: In dem Moment, wo ein Auftrag kommt, beendet man alles. Außerdem brachte mich der Auftrag auf die Idee, dass ich den Brenner heimschicke. Das ist in der Literatur ja schön kitschig, so eine Heimkehr. Da kam mir die Wendung "mi hamdrahn" für Selbstmord unter. Damit hatte ich gleich die Ausgangssituation des Buches. Da bin ich gerne trotzig: statt Heimkehr eben "hamdrahn".

STANDARD: Immer waren es Bereiche aus dem österreichischen Tourismus, die in Ihren Büchern die Toten produzierten: Skilift, Hendlstation. Diesmal übernimmt die Stadt Graz diese Funktion – sie generiert die Leichen. – Mussten Sie zwecks Lokalkolorit nach Graz?

Haas: Wichtig für mich war, ich war nie in Puntigam, wo der Detektiv herkommt. Das kannte ich nur über die mediale Vermittlung, aus der Bierwerbung. Im Schwarzenegger-Stadion war ich auch nie. Was jetzt nach Graz riecht, ist konstruiert. Im Buch wird der Schusskanal in Brenners Kopf einmal mit dem Verlauf der Mur verglichen. Aber da geht es mir nicht um die Realität, sondern um eine Form der Darstellung.

STANDARD: Sprachlich geschieht auch hier wie in allen Ihren Büchern zugleich sehr wenig und sehr viel: Die Österreicher sprechen bei Ihnen überhaupt sehr wenig.

Haas: Ich erinnere mich, dass meine Oma zu meiner Mutter vor Besuchen sagte: "Ich weiß nicht, was ich reden soll." Das war ein irrer Stress für sie. Ich glaube, dass eine solche Sprachangst etwas Ländliches ist.

Es ist aber kein Zufall, dass ich mich die Sprache der Brenner-Romane erstmals schreiben traute, als ich als Lektor in England war. Denn erstens war ich weit genug weg, sodass ich mich nimmer fürchten hab' müssen davor. Gleichzeitig hab' ich gemerkt, dass das Universalien sind. Im Englischen sagt man: "You know what I tell you" – diese gesprächssteuernden Fragen, die keinen Inhalt transportieren, die aber für einen Autor sehr interessant sind. Weil sie fragen lassen, da sie nichts abbilden. Weg von der Referenzfunktion.

STANDARD: Das ist wichtiger als der Bezug auf das reale Graz jetzt?

Haas: Ich könnte die Geschichte nicht in einem anderen Stil erfinden, ohne diesen naiven Tonfall wären die naiven Handlungen unmöglich. Eigentlich macht der Erzähler immer das, was man "sich einetheatern" nennt: dass man sich selbst rhetorisch aufhetzt, wie ja im Fasching die Leute Dinge tun, die sie sonst nie täten.

Genau so steigert sich der Erzähler in eine Aufgeregtheit hinein. Der Satz "Jetzt ist schon wieder was passiert", der erzählt eigentlich die Geschichten, ein Bassena-Gefühl: Das könnte jemand sagen, obwohl gar nichts passiert ist. Hinterher werden die Ereignisse dazu eingefädelt. Mein erstes Buch hatte ich zunächst in einem ganz anderen Stil geschrieben, nur drei Seiten waren in dieser Sprache. Da sträubte ich mich als junger, experimenteller Autor dagegen.

STANDARD: Das heißt, am Beginn mussten Sie den Autor erschießen. Jetzt die von ihm erfundene Figur Brenner, um wieder ein anderer Autor zu werden?

Haas: Das ist sehr schön, das mit dem Autor erschießen – das wäre wirklich mein Sprachgefühl. Denn ich habe mir damals den Typen Brenner vorgestellt und alles delegiert an den Erzähler, das Plappermaul. Der Erzähler ist nicht so eindeutig wie die Satire bei Qualtingers Herr Karl.

STANDARD: Und wie ist es mit der Recherche von Realien?

Haas: Wenn ich mal was verwende, wo ich gut recherchiert hab', dann wirken diese Elemente oft viel starrer als die skrupellos verbogenen Dinge. Ich schreib' immer viel in die Irre, probiere herum.

STANDARD: Zum Beispiel?

Haas: Alle bringen heute Komm, süßer Tod mit dem Ausdruck "Spenderleber" für "Leberkäse" in Verbindung. Dabei war das ursprünglich eine Notlösung: Ich wollte eine Autofahrt und einen Würstlstand. Ursprünglich hatte ich nur an den wörtlichen Ausdruck "Spenderleber" gedacht, aber dann wurde es zur Metapher für "Leberkäse".

STANDARD: Sie wühlen bewusst in der Sprache?

Haas: Überhaupt nicht bewusst am Beginn. Es war ein lustvolles Wühlen in etwas lange Verdrängtem. Man wird am Land sozialisiert und darauf getrimmt, "nach der Schrift zu sprechen". Das sprachliche Werkzeug wird immer sauberer poliert. Die Leichen liegen darunter.
(DER STANDARD, Printausgabe, 7.2.2003)