Wien ist anders, auch bei den Grünen. Während in den westlicheren Bundesländern die grünen Funktionäre skeptisch, aber doch das Hohelied der Regierung mit der ÖVP anstimmen, sorgt die Wiener Landespartei für den lautesten dissonanten Kritikton. Das liegt ein bisschen an Differenzen der Lebenskultur: Für die urbanen Wiener Grün-Wähler (und -Funktionäre) wirkt die Trachtenpärchen- und Volksliedinszenierung der ÖVP so exotisch anders, dass eine Zusammenarbeit viel schwerer vorstellbar ist als auf dem Land, wo der grüne Biobauer die Lederhose nicht als Kulturschock empfindet.

Viel wesentlicher für den Widerstand der Wiener Grünen gegen eine Koalition mit der ÖVP ist aber, so paradox es klingen mag, deren Größe. Wien ist die Hochburg der Grünen, hier haben sie das beste Nationalratswahlergebnis und sind im Bezirk Neubau mit 30 Prozent die stimmenstärkste Partei - hier müssen sie nicht erst durch die Hilfe der ÖVP wählbar werden. Das ist ein diametraler Unterschied zum Land: Denn dort könnte die Erhebung zum Koalitionspartner durch die ÖVP das Misstrauen abbauen, das sie für die überwiegende Mehrheit dort bisher unwählbar machte. Die Grünen auf dem Land haben kaum Wähler zu verlieren, können also fast nur gewinnen - in Wien ist die Ausgangslage genau umgekehrt.

Die Inhalte eines allfälligen Regierungsprogramms müssten schon eine deutliche grüne Handschrift tragen, um die starken Wiener Grünen überzeugen zu können. Und nicht nur sie: Die Grünen sind eine urbane Partei der Bildungsschichten, die allzu weiche Kompromisse in den Kernfragen der Umwelt-, Bildungs- und Ausländerpolitik nicht akzeptieren werden. Die Wiener Grünen schreien schon jetzt auf - bei einem nicht entsprechenden Verhandlungsergebnis werden sie nicht allein bleiben. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 8./9.2.2003)