Straßburg/Wien - Mit zwölf Jahren kam Elvis J. zu seiner Mutter nach Österreich. 16 Jahre war der gebürtige Bosnier alt, als er Ende August 1995 in Wels wegen Einbrüchen zu bedingter Haftstrafe verurteilt wurde. Ein Monat später wurde gegen ihn ein zehnjähriges Aufenthaltsverbot verhängt - eine Verletzung der Menschenrechte, wie am Donnerstag der europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg urteilte.

Mit vier zu drei Stimmen entschieden die Richter, dass das zehnjährige Aufenthaltsverbot nicht in Relation zu den begangenen Verbrechen steht. Der Teenager war zweimal wegen Einbrüchen zu insgesamt siebeneinhalb Monaten bedingter Haft verurteilt worden, zusätzlich bestand ein Waffenverbot für ihn. Die Mehrheit der Straßburger Richter betont in ihrem Spruch aber, dass keine Gewalttätigkeiten vorlagen.

Die österreichischen Behörden waren Ende der 90er-Jahre anderer Ansicht. Sie schoben Elvis J. im April 1997 nach Bosnien ab, obwohl er seinen dort angeblich lebenden leiblichen Vater seit neun Jahren nicht mehr gesehen hatte. Auch die Tatsache, dass J. in der Zwischenzeit einen Sohn hat, war kein Grund für eine Änderung der staatlichen Haltung.

"Erschütternde Praxis"

Mittlerweile lebt J. in Kroatien, berichtet sein Anwalt Friedrich Schwarzinger. Er ist mit dem Urteil zufrieden, weil damit die "erschütternde Praxis" der Abschiebung und Aufenthaltsverbote als menschenrechtswidrig erkannt wurde. "In diesem Fall war es zwar zugegebenermaßen grenzwertig, aber es gibt viele Fälle die viel haarsträubender sind. Da werden Aufenthaltsverbote verhängt, weil jemand eine Kiste Bier gestohlen hat", kritisiert er.

Wie es für seinen Mandanten nach dem Erfolg in Straßburg weitergeht, kann er noch nicht sagen. Denn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kann das Aufenthaltsverbot nicht selbst aufheben. "Ich erwarte mir aber, dass er nach Österreich zurückkommen darf", meint Schwarzinger.

Im Innenministerium hat man den Entscheid aus Frankreich noch nicht erhalten, berichtet Behördensprecher Rudolf Gollia. "Grundsätzlich wird sich Österreich aber wahrscheinlich dem Richterspruch beugen und das Aufenthaltsverbot aufheben", schätzt er.

"Für den Betroffenen muss dann der ursprüngliche rechtliche Zustand wieder hergestellt werden, das heißt, er hätte wieder eine gültige Aufenthaltsgenehmigung." Ob diese allerdings verlängert wird, sei dann erst zu prüfen, schränkt Gollia ein. Geprüft werden müsse auch, ob das Urteil einen generellen Einfluss auf die Verhängung von Aufenthaltsverboten habe - etwa ob bedingte Haftstrafen wegen Vermögensdelikten künftig als Grund wegfallen. (DER STANDARD, print-Ausgabe vom 8./9.2.2003)