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Karl Lagerfeld 2003
minus 42 kg

Foto:APA/EPA/Pierre Verdy

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Karl Lagerfeld 2000
Riesenbrille & Fächer wurden mittlerweile ad acta gelegt

Foto: APA/EPA/Toru Yamanaka

Karl Lagerfeld 1983

Ex-Muse Inès de la Fressange

Ex-Muse Claudia Schiffer

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Sommerkollektion 2003

REUTERS/Jacky Naegelen

Karl Lagerfeld ist wohl der einzige Couturier, dessen Namen jeder kennt, von dem man vielleicht sogar sein Bild vor Augen hat, ohne ein Kleid oder wichtiger noch, seinen Stil als Designer beschreiben zu können. Sicherlich ist er einer der innovativsten Modemacher weltweit. Auch wenn es darum geht, seinen Namen unters Volk zu bringen. Denn Lagerfeld ist ein glänzender PR-Mann, der früh schon die Bedeutung der Public Relations erkannte und zu nutzen verstand. Unzählige Interviews führt er an allen Pressefronten, und deren Leser glauben, nun alles über ihn zu wissen. Um später festzustellen, dass sie nur das kennen, was der Meister zu wissen gestattet.

Zwar macht sich Lagerfeld selbst zur öffentlichen Figur, aber er gibt sich keine Blößen. Er lanciert selbstgeknipste Fotos von sich, so distanziert und statuarisch wie Staatsportraits. Dazu gewährt er manchen Blick hinter seine Denkerstirn, aber nie hinter die abgedunkelten Brillengläser. Wenn die Augen der Spiegel der Seele sind, haben wir alle seine Seele schon lange nicht mehr gesehen. Damit wahrt er, was den Parisern schon immer am wichtigsten war: die Fassade.

Die Begeisterung für die französische Lebensart hat Lagerfeld, gebürtiger Hamburger mit immer noch deutschem Pass (was er mit zunehmenden Alter immer häufiger betont), schon früh entwickelt. Das verwöhnte, aber allein gelassene Kind - der Vater hatte sein Vermögen als Fabrikant von "Glücksklee"-Dosenmilch gemacht - hatte stets das Gefühl, seine Eltern bei deren eigenen Interessen zu stören. Im Gegenzug blieb er sich selbst überlassen, was er noch heute als positiv empfindet. Also begann er, sich in eine Traumwelt zu flüchten aus Pariser-Vogue-Couture und Rokoko-Szenarien, die er sich aus Modezeitschriften und Büchern zusammen bastelte.

Es spricht für die Willenskraft und Fantasie des damals noch kleinen Karl, dass er konsequent die Erfüllung seiner Träume durchsetzte. Also durfte er die Schule in Paris beenden und auch danach dort bleiben, um, fernab vom muffigen und als viel zu eng empfundenen Adenauer-Deutschland, aus seinem Zeichentalent einen Beruf zu machen. Vor allem aber lernte er, das französische Savoir-Vivre und die Pariser Mentalität mit seiner norddeutschen Disziplin zu verschmelzen.

Ein erster Preis für einen Mantelentwurf für das Internationale Woll-Sekretariat machte Lagerfeld 1954 zum Assistenten des Couturiers und Dior-Konkurrenten Pierre Balmain. Später entwarf er die Couture für das Haus Jean Patou, bevor er sich als Designer selbständig machte. Wie man das Triviale zur Kunstform erhebt und sich selbst dadurch einen Rang erschafft, konnte er in seiner Jugend vom Dichter-Regisseur Jean Cocteau lernen oder von der Schriftstellerin Colette.

Als ihn die Modepresse in den siebziger Jahren als Designer für Chloé zu feiern begann, gelang es ihm schnell, innerhalb der noch jungen Pariser Pret-à-porter, Star-Status zu erlangen. Dazu trug nicht zuletzt ein Prinzip bei, das Lagerfeld am Sonnenkönig Ludwig XIV. und dessen Hof in Versailles fasziniert hatte. Wie dieser machte er sich zur öffentlichen Person, wenn im Gegenzug das Tabu eines von ihm bestimmten inneren Zirkels respektiert wurde.

In ihm bewegen sich auch heute noch die stets wechselnden Mitglieder seiner unmittelbaren Entourage wie Höflinge um das Ego von Lagerfelds Sonne. So kennt man nur die Namen der abtrünnigen Assistenten, weil sie scheiterten, indem sie glaubten, ohne den Meister existieren zu können: Hervé Leger etwa oder Alistair Blair, der für Balmain entwarf, oder Gilles Dufour, der langjährige Vertraute bei Chanel.

Lang ist auch die Liste von Lagerfelds Musen, vergleichbar dem Reigen der Königsmätressen in Versailles. Sie steigen auf, inspirieren und fallen in Ungnade, wenn sie den Zeitpunkt des Rückzugs verpassen. Das geschah Anna Piaggi, der legendären Moderedakteurin der italienischen Vogue, die sich heute mittels Mode zum Kunstwerk stilisiert. Das geschah der Coco-Chanel-Reinkarnation Inès de la Fressange ebenso wie ihrer Nachfolgerin als "Gesicht von Chanel", dem deutschen Fräulein-Wunder Claudia Schiffer. Wie lange sich die derzeitige Muse, Lady Amanda Harlech, noch hält, die Lagerfeld John Galliano abspenstig machte, vermag niemand zu sagen.

Hier mögen zwar die Ursachen und Begleiterscheinungen für Lagerfelds unendliche Erfolgsgeschichte liegen, doch deren Triebfedern sind andere. Da ist einmal Lagerfelds panische Angst vor Langeweile. Der Herr über 230.000 Bücher, mehrere luxuriös ausgestattete Wohnsitze und ein sicherlich nicht unbeträchtliches Vermögen könnte sich längst schon zur Ruhe setzen, wird aber ernsthaft böse, sobald die Sprache darauf kommt.

Dazu verfügt er über eine scheinbar nie versiegende, übersprudelnde Kreativität, deren im Alter geschärfter Blick für Zusammenhänge sie noch kostbarer erscheinen lässt. "Wenn Lagerfeld gut ist, dann ist er brillant," schrieb einmal Suzy Menkes, Mode-Sybille beim International Herald Tribune, "wenn er aber schlecht ist, dann ist er scheußlich!" Gott sei Dank für Lagerfeld und Chanel trifft noch stets das Erstere zu!

Wirklich genial ist jedoch Lagerfelds untrügliches Gespür für Modernität, das niemals Stillstand duldet. Es zwingt ihn zu Veränderungen, auch der eigenen Person, wenn er auch weiterhin auf der Höhe der Zeit bleiben möchte. Deshalb ist er auch kein Mann, der zurücksieht, sondern den die Vergangenheit nur interessiert, wenn sie der Zukunft nützt. Das ist sein Geheimnis bei Chanel, wo er mit dem Fundus von Mademoiselle Coco das Spiel gegen deren Legende in jeder Saison aufs Neue gewinnt.

Doch was wäre all dies ohne die Leichtigkeit, die aus der Disziplin entsteht, und es ihm ermöglicht, sich spielerisch über alle Schranken hinwegzusetzen. Nur manchmal lässt sie ahnen, wie schwer erarbeitet sie ist. Lagerfeld liebt es, zu verblüffen. Wie das weiße Kaninchen in "Alice im Wunderland" jongliert er mit dem eigenen Kopf, wenn es sein muss und amüsiert sich königlich über die Fassungslosigkeit, die ihn dann umgibt.

In Zeiten, in denen Menschen mit Leichtigkeit superfett werden, demonstriert der Designer mit Disziplin, dass es auch anders herum geht. Er wird superschlank und begegnet den Unkenrufen um Krankheit und Tod mit Frivolität. Er habe sich einfach an sich selbst satt gesehen! Außerdem wollte er auch einmal jene superschmalen Jacken tragen, wie sie der junge, von ihm sehr geschätzte Hedi Slimane für Dior schneidert. Dafür habe es sich gelohnt, 42 Kilo abzunehmen!

Wie der griechische Meeresgott Proteus wechselt Lagerfeld stets die Erscheinung, wenn er glaubt, im Stillstand angekommen zu sein. War er mit zwanzig schmal wie ein Pinselstrich, so träumte er von Muskeln, als in den Sixties Slim-Line à la Twiggy angesagt war. Viermal pro Woche trainierte er drei Stunden, was ihm gut zu Gesicht und Körper stand, wie gezielt auftauchende Badehosenfotos belegen. In den Seventies gab er den viktorianischen Dandy mit Bart und Monokel als Mischung aus Proust und Oscar Wilde.

Danach, als er 1983 Chanel übernahm, kam der große "Kaiser Karl", der Herrscher über vier Reiche, über Chloé, Chanel, Fendi und sein eigenes. Dann wurde er dick im weiten Gewand und verbarg sein Gesicht hinter Fächern und dunklen Riesenbrillen. Immer mehr ähnelte er jenem geheimnisvollen Strippenzieher, den Werner Krauss in dem von ihm geschätzten Stummfilm "Das Kabinett des Dr. Caligari" verkörperte.

Doch nun hat er den Fächer ad acta gelegt. Über seine "3-D-Diät" ließ er ein Buch schreiben, das sogar Einblicke in die Seele hinter der Brille gewährt. Und die ist ebenso schmal und silbern geworden wie der große "Kaiser Karl" - und auch so rasant. Salto zurück! Alles steht wieder auf Anfang! (Der Standard/rondo/07/02/2003)