Colin Powells großer Auftritt am gestrigen Mittwoch vor dem UN-Sicherheitsrat wird in den USA mit dem Coup eines Amtsvorgängers während eines Höhepunkts des Kalten Krieges, der Kuba-Krise, verglichen. Am 25. Oktober 1962 fuhr der damalige US-Außenminister Adlai Stevenson den sowjetischen Botschafter Walerian Zorin an: "Leugnen Sie, Botschafter Zorin, dass die UdSSR Mittelstreckenraketen auf Kuba stationiert hat? - Ja oder nein? Warten Sie nicht auf die Übersetzung. Ja oder nein?" Nach Ausflüchten Zorins ("Ich bin hier nicht in einem amerikanischen Gerichtssaal, Sir") zeigte Stevenson große, von Spionageflugzeugen aufgenommene Schwarz-Weiß-Fotos, mit denen die Weltöffentlichkeit von der Existenz der sowjetischen Raketenstellungen auf Kuba überzeugt wurde.

Beim Irak-Showdown vor dem Sicherheitsrat verkörperte Colin Powell als Ankläger für viele Europäer eine ungewohnte Rolle. Der 65-jährige Vier-Sterne-General, Sohn von Einwanderern aus Jamaika, galt bisher als letzter verlässlicher "Multilateralist" im engsten Kreis von Präsident George W. Bush. Während sich "Falken" wie Vizepräsident Dick Cheney, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice von Verbündeten Widerspruch gegen ihre Politik verbitten, hat sich die "Taube" Powell bisher stets geduldig um Zustimmung bemüht. Im November erreichte er im UN-Sicherheitsrat damit die einhellige Zustimmung zur Resolution 1441, in welcher der Irak vor "ernsthaften Konsequenzen" gewarnt wird, falls er seine Abrüstungsverpflichtungen nicht erfüllt.

Zu einer härteren Gangart, so erfuhren Reporter der Washington Post, sei Powell vor allem aus Verärgerung über den französischen Außenminister Dominique de Villepin übergegangen. Dieser hatte noch vor Abschluss der Waffeninspektionen erklärt, dass derzeit "nichts" einen Krieg gegen den Irak rechtfertige. Powell habe sich dadurch - und auch durch die deutsche Haltung - gegenüber Bush bloßgestellt gefühlt.

Friedensdoktrin

Der britische Economist erinnerte aber daran, dass sich Powell als Konsequenz des Vietnamkriegs in seiner Autobiografie zu jenen rechnete, die künftig einer "halbherzigen Kriegsführung mit halb garen Begründungen" nicht zustimmen würden. Vor dem Golfkrieg 1991 plädierte er für Sanktionen anstelle des Einmarsches, und auch eine Intervention in Bosnien lehnte er lange ab. Prinzipiell schloss Powell, der schon unter Präsident Reagan gedient und auch dessen Star-Wars-Konzept unterstützt hat, die Anwendung von Gewalt freilich nie aus.

Das Auftauchen neuer Bedrohungen - Terrorismus und mit ihm womöglich in Verbindung stehende Diktatoren - könnte ihn, so der Economist, zum Überdenken seiner Doktrin bewogen haben. Laut einer vor der UNO-Rede durchgeführten Gallup-Umfrage vertrauen 63 Prozent der US-Bürger in der Irakfrage Powell eher als Bush. Nur 24 Prozent haben größeres Vertrauen in den Präsidenten als in seinen Außenminister. (DER STANDARD, Printausgabe, 6.2.2003)