Nach dem erkenntnisreichen Verzehr eines proteinreichen "Bajonetts" mit Hans Staudacher im vorweihnachtlichen Beograd wollten Doris Krumpl und Markus Mittringer wissen, wo der jüngere Künstler selbstreflexiv isst. Die Gruppe G.R.A.M. bat ins Concordia-Schlössl.


Wien - Gerade zwei-, dreimal im Jahr, sagt Martin Behr, überkommt ihn die Fleischeslust, und dann schlägt der Vegetarier zu. Anständig. Im Concordia-Schlössl orderte er ein Karl-Valentin-Schnitzel. Darunter muss man sich passend zur Zentralfriedhofsnähe ein ungemein großes, gewaltsam plattgedrücktes Stück toten Fleisches vorstellen, das mit Schinken und Semmelnknödelnmasse gefüllt, zu einer unterarmdicken Rolle gedreht und dann auch noch paniert wird. Serviert wird die gefährliche Biorohrbombe auf einem Bett preiselbeerbehäufelter Orangenscheiben an Ölpfefferoni. Derartiges aß Behr zuletzt nach dem Falco-Begräbnis. Eben- dort.

Der jüngere Künstler von heute will eigentlich Popstar sein. Nicht vergessen im geschlossenen White Cube über Sinn und Bedeutung von Proportionen nachdenken, sondern in der Menge baden. Ein bisschen von dieser Sehnsucht nach Group und Groupies stand auch damals, 1987, als Idee der Gründung der vierköpfigen Grazer Band G.R.A.M. vor. Nur: Mit wirklichen Instrumenten hantieren, das wollten die Boys nicht. "Es gibt ja nichts Peinlicheres als diese Künstlerbands der 80er-Jahre" sagt Günther Holler-Schuster, der für das G. im Gruppennamen steht und von Beruf Kurator ist. M. (für Martin Behr) ist dafür Kritiker, und so findet die Konzeptgruppe, deren weitere Mitglieder nur mehr beratend, aus zivilberuflicher Tarnung heraus agieren, eine Allianz aus Kritik, Kuratorship und Kunst, die für den Kunstmarkt nicht abträglich ist.

Außerdem arbeitet es sich mit einem Beruf neben der Berufung unbeschwerter, weil "finanziell a Ruah is'". Und: Das schützt vor einem peinlichen Alterswerk. Horrorvision: "Uns ereilt ein Rolling-Stones-Schicksal, wir nehmen eine Jazzplatte auf und warten mit 65 vorm Sacher auf Prominente."

G.R.A.M. begaben sich nämlich in den letzten Jahren unter die Paparazzi, stellten Udo Jürgens oder, unmittelbar vor dem traurigen Zenit ihrer Popularität, Prinzessin Diana. Der Leidensdruck des Künstlers äußert sich als Paparazzo in der Pein, Voyeur zu sein: aufdringlich und indiskret. Diese aus dem Versteck betriebene Leute-Beobachtung kehrten G.R.A.M. in ihrem jüngsten Projekt um. Es geht nicht mehr um Prominente, sondern um Menschen am spätherbstlich leeren und, weil von der Kulturhaupstadtsäuberung vergessenen und deshalb hässlichen, wohl aber authentischen Grazer FKK-Gelände.

Dessen ostentativ unbekleideten Bewohnern näherten G.R.A.M. sich, stets in Gefahr, gestellt zu werden, vom anderen Ufer des Schotterteiches beim Flughafen aus. In der Wiener Galerie Christine König zeigen sie jetzt die verstörenden Ergebnisse ihrer feldforschenden Pirsch: unscharfe Tableaus in grobkörnigem Schwarz-Weiß.

"Wiedergänger" nennen sie diese seltsamen Paradiesbewohner. "Sie bewegten sich so langsam, gingen ins Wasser, diese unheimlichen Gestalten", deren genaue Figuren, geschweige denn Gesichter auf den "Loch-Ness-Aufnahmen" nicht erkennbar sind. Lebende Tote? "Es kann ein Blick in die Vergangenheit sein oder auch eine Zukunftsvision." Aufschlussreicheres über diese Spezies soll schon demnächst ein Film bringen.

Das Unheimliche im Alltäglichen ist auch Thema von Cameron Jamie, der gemeinsam mit G.R.A.M. bis 22. März ausstellt und sich dem US-amerikanischen Halloween-und Death-Metal-Kult nähert.

Von der Paparazzo-Fotografie sind G.R.A.M. weitergegangen in Richtung Slap- stick, und da war es nahe liegend, Szenen aus Dick-&-Doof-Filmen nachzustellen. "Ist Stan ein Aktionist, wenn er Torten ins Gesicht schmeißt?" fragt Martin Behr, kaut am Valentin-Schnitzel und erinnert daran, das G.R.A.M. sich ja in ähnlich liebevoller Neugier nachstellend den Helden des Wiener Aktionismus näherten - mit bestürzenden Folgen.

G.R.A.M. wollen nichts erfinden oder gar gut können, das war spätestens nach kläglichen Malversuchen zu Beginn ihrer Karriere klar. Wenn nötig, binden sie Profis ein, etwa Hermes Phettberg als Schauspieler, der sich im G.R.A.M.-Setting auspeitschen oder auch mit Körpersäften benetzen ließ.

Oder sie finden einfach vor: "Peter Oswald - Oberflächenveredelungen aller Art" ist eine Grazer Firma, und G.R.A.M. stellen schlicht die Frage, ob die Namesgleichheit mit einem anderen Grazer auch Rückschlüsse auf dessen Tätigkeit zulässt. Oder G.R.A.M. lassen Spielzeug-Autodesign auf tatsächliche Autos applizieren und vertreiben sich damit die Zeit des Schindler-Stipendiums in LA. Ein Projekt steht noch aus, dessen Umsetzung aber steht in den Sternen: "Wir sollten aus Graz raus, da ist noch nie jemand etwas geworden. Höchstens Lifttechniker." (DER STANDARD, Printausgabe, 4.2.2003)