Bewohnerinnen von Dosti in Tadschikistan demonstrieren vor den Lokalbehörden für finanzielle Unterstützung nach einem Erdbeben im Herbst 2006.

Der Zusammenbruch des "Ost-Blocks" hat den verbliebenen und daraus entstandenen Ländern eine Phase des langfristigen Wandels beschieden. Die Konsequenzen in den postkommunistischen Gesellschaften zwischen Westorientierung und Wiedererstarken traditionalistischer Gesellschaftsmuster sind vor allem für Frauen negativ. Sie haben in den letzten zehn bis 20 Jahren den Rückgang von Löhnen und Zugang zum öffentlichen Leben hinnehmen müssen. Die prekäre Situation an den neuen neoliberalen Arbeitsmärkten zwingt immer mehr Frauen (aber auch Männer) in die Arbeitsmigration, was für die Sozialstrukturen der Herkunftsländer zum Teil drastische Folgen hat.

In der aktuellen Ausgabe der vom UN-Entwicklungsprogramm herausgegebenen Fachzeitschrift "Development and Transition" werden diese und andere Fragen eingehend beleuchtet. So zeigt sich: Auch Männer tragen geschlechtsspezifische Folgen des Wandels. In der ehemaligen Sowjetunion ist die Lebenserwartung von Männern eindeutig gesunken. ForscherInnen machen u.a. die bestehenden Geschlechterrollen dafür verantwortlich.

Aserbaidschan: Konsens über Ernährer-Modell

In dem knapp 10 Millionen EinwohnerInnen-Staat wurde 2007 erstmals eine unabhängige Studie zu Geschlechterfragen durchgeführt. Basierend auf der Befragung von 1.500 Männern und Frauen, Diskussionen mit 80 Fokusgruppen und Tiefeninterviews mit 50 ExpertInnen zeigt sich, dass patriarchale Vorstellungen über Geschlechterrollen tief im Gesellschaftssystem Aserbaidschans verankert sind. Autorin Irada Ahmedova schließt daraus, dass die weitgehende rechtliche Gleichstellung von Frauen nicht mit einer realen Gleichstellung der Geschlechter einherging. Sowohl Männer als auch Frauen befürworten weiterhin traditionelle Arbeits- und Familienmodelle vom Mann als Ernährer und Familienoberhaupt und der Frau als Hausfrau. Daraus lässt sich auch erklären, dass nur für 65 Prozent der Männern Lohngleichheit ein Anliegen ist, während der Anteil bei den Frauen mit 62 Prozent sogar noch darunter liegt.

Was die (Aus-)Bildung betrifft, mahnt Ahmedova, dass den stereotypen Einstellungen nicht allein durch eine Erhöhung des Bildungsgrades entgegenzuwirken sei. Auch Befragte mit höheren Bildungsabschlüssen seien mit Vorurteilen gegenüber Mädchenerziehung und dem Zugang zu Informationen (z.B. Internet) ausgestattet.

Frauenüberschuss in Zentralasien

Mit dem Problem der männlichen Arbeitsmigration setzt sich der Beitrag von Anna Matveeva auseinander. Dieser hat in zahlreichen Gebieten zu einem Frauenüberschuss geführt mit beträchtlichen sozialen Auswirkungen. Schätzungen zufolge arbeiten 700.000 Kirgisen in Russland, in Usbekistan beläuft sich die Zahl jener Männer, die zumindest vorübergehend in Russland arbeiten, auf 800.000. In Tadschikistan hat rund ein Drittel der erwerbsfähigen männlichen Bevölkerung das Land verlassen. Dort gilt es bereits als Teil der männlichen Sozialisation, „eines Tages" in Russland zu arbeiten. Die zurückgelassenen Ehefrauen leben größtenteils rechtlos bei den Schwiegereltern, viele Arbeitsmigranten haben zudem eine weitere Familie in Russland gegründet.

Mit den Folgen der gewalttätigen Konflikte in der Region gehen hingegen Frauen besser um als Männer, weiß Matveeva. Studien in Zentralasien haben gezeigt, dass sich Frauen schneller an die neuen Lebensumstände anpassen als Männer. Letztere tun sich schwer, „maskuline" Arbeit in der neuen Umgebung zu finden, während Frauen flexibler auf die neue Situation regieren und so immer öfter zu Familienernährerinnen werden.

Was die politische Beteiligung von Frauen betrifft, so schätzt die Autorin diese als groß ein. Allerdings würde deren Aktivismus von den Behörden kaum als "Bedrohung" eingestuft werden, weil sie die üblicherweise von jungen Männern getragene Aggression nicht fürchten müssen.

Russland: Männer sterben früher

Sarah Ashwin beleuchtet in ihrem Beitrag den starken Rückgang der männlichen Lebenserwartung in Russland seit 1989. Diese sank zwischen 1989 und 1994 von 64,2 auf 57,5 Jahre (im Vergleich sank die Lebenserwartung von Frauen von 74,4 auf 71,1). Die Autorin macht dafür die unterschiedlichen Geschlechterrollen verantwortlich, die im russischen Fall „ironischerweise" einen Vorteil für Frauen gebracht hätten: Durch die klassische Doppelbelastung mit Beruf und Haushalt würden Frauen Phasen von Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg besser überstehen als Männer, deren soziale Beziehungen und Bestätigungsmuster fast ausschließlich um den Arbeitsplatz organisiert seien.

Ben Slay reagiert in seinem Beitrag auf die Thesen Ashwins, indem er betont, dass die Lebenserwartung von Männern und Frauen in der UdSSR bereits seit den 1960ern stagnierte, während sie in den OECD-Staaten weiter stieg. Darüber hinaus sei der Knick ab dem Jahr 1989 bei weitem nicht in allen Übergangsländern bemerkbar gewesen, was die Miteinbeziehung weiterer demografischer Trends nötig mache. (freu)