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"Dinner Setting" auf Mnemba Island

Foto: Archiv

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Strandliegen auf Mnemba Island

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Schuhe ausziehen, den Koffer in den Schatten kippen, tief ausatmen und einatmen nicht vergessen. Dann eine Runde um die Insel schlendern. Ein Viertelstündchen mag das dauern, denn Mnemba Island ist klein, mehr oder weniger kreisrund, ziemlich flach und trotzdem kein Malediven-Eiland.

Wo sich die Insel genau befindet, spielt jetzt keine Rolle, außer dass sie natürlich im Meer liegt, welches ebenso Teil des Designkonzeptes der zu Mnemba gehörigen Edelherberge ist: Badewannenwarm, so wie die dazugehörige Lufttemperatur, türkisgrün und kristallklar sollte es ausfallen. Dekorativ vorbeischwimmende Fische sind dabei durchaus erwünscht. Zumindest ebenso wichtig: der Strand. Auf Mnemba, einem aus zerbröselten Korallen komponierten Inselflecken, fällt dieser in besonderer Qualität aus, nämlich mit eingebauter Bodenkühlung.

Die extreme Feinheit der jeweiligen Körner, für die die Reisejournaille gerne das metaphorisch gedachte Attribut "Puderzucker" verwendet, verhindert nämlich, dass die Sonne den Sand allzu arg aufheizt. Und das ist gut so, denn immerhin zählt Mnemba Island zu jenen Hotels, die eine konsequente Barfuß-Politik verfolgen. Mit nackten Zehen werden alle Insulaner Brüder, was seit alters her zugleich auch jene Ungleichheit garantiert, die für den reibungslosen Ablauf eines Hi-End-Hotels nötig ist: Barfuß plaudert Bruder General Manager mit Bruder Tellerwäscher, barfuß verkriecht sich Bruder Gast, das faulste Familienmitglied, Richtung Inselgehölz. Wohl wissend, dass auch Robinson die ganze Woche frei hatte, nachdem er seinen Freitag entdeckt hatte.

Der Herr, der sich aus Ziegenhäuten einen Sonnenschirm bastelte, geistert als touristische Überfigur denn auch über Mnemba Island. Selbstgeschnitzt, fast so, als ob ein Schiffbrüchiger hier aus Langeweile ein Luxushotel geflochten hätte, sieht die gute 500-Dollar-Bude aus. Bast und Binsen, ein ganz klein wenig Zement, offene Banda-Hütten mit Meeresbrise statt AirCon-Schnickschnack, klirrende Glasperlen-Duschvorhänge, und mit Sicherheit keine Telefone, kein Radio, kein Fernsehen, überhaupt keine Propaganda - so sieht die maßgeschneiderte Edelherberge aus.

Der wahre Luxus beschwört vielmehr die Absenz des Überflüssigen. Das restliche Inventar schlägt in die gleiche Kerbe: hie und da ein ausdrucksstarkes Stück Treibholz am täglich mehrmals gefegten Strand. Knisternde Fußmatten und Sand fast - aber eben nur fast - bis zum Bett. Die Beachliegen sind aus grobem Hanfseil geflochten und unter schattige Palmblattkonstruktionen gestellt. Lediglich eine weiche weiße Matratze unterscheidet sie von denen des Einheimischendorfes des nahen Festlandes.

Sollte der zornige Öko-Gott auf Mnemba vorbeischauen, nachdem er Miami Island, die Costa del Sol, Bad Kleinkirchheim und andere Gästesilos mit Blitz und Donner und leeren Betten bestraft hat, so darf er auf das Insel-Resort milde herunterblicken. Denn Mnembas Treibguthölzer, Bastteppiche und Palmblattdächer würden sich nach einem plötzlichen Konkurs wieder nahtlos in die naturnahe Umgebung einfügen.

Die Kuratoren der aktuellen Ausstellung "New Hotels for Global Nomads", die momentan im New Yorker Cooper-Hewitt Design Museum läuft, würden das - übrigens vor Sansibar gelegene - Robinsoninselchen vermutlich unter dem Begriff "Escapism" ablegen. Die Möglichkeit des Entkommens, die heute sehr unterschiedliche Luxushotels in möglichst entlegenen Naturräumen entstehen lässt, ist dabei nur eine aktuelle Entwicklung im Rahmen des weit gefassten Themenbereichs "Hotel".

Egal ob Business, Freizeit oder bloße bauliche Umsetzung von Fantasy-Welten: Längst präsentiert sich das Gästehaus als vielfältig differenziertes Produkt, das über die pure Notwendigkeit des Zimmers in der Fremde weit hinausreicht. Übt etwa das Genre des versteckten Luxus-Hideways noch den Spagat zwischen geografischer Isolation und barfüßigem Soloauftritt multipler Kreditkartenbesitzer im trendigen Eco-Spa, so legen Themenhotels die Verwandlung des Lebensraumes in künstliche Erlebnisräume weit schriller dar.

Die Ausgangssituation dazu ist geradezu ideal

Eine kurze Zeitspanne kann und will der Gast die scheinbar veränderte Existenz ertragen, die architektonische Maskerade, die ihm die eigene Fadesse oder geheime Wünsche suggeriert. Die Inszenierung des eigenen Ichs als James Bond, Catwoman oder Cinderella definiert so auch die Rahmenbedingungen, nach denen die Architekten von Fantasy-Hotels arbeiten, und dabei recht tief in die Psycho-Trickkiste greifen.

Egal ob Casanova in Las Vegas' "Venezia" oder Big Techno-Pascha in Dubais "Burj al Arab", strapaziert wird neben Glamour und Goldglanz vor allem die Andersartigkeit der jeweiligen Umgebung. Veränderte Größenmaßstäbe und die Opulenz von anachronistisch anmutenden Luxusmaterialien, bewusst theatralische Beleuchtungstechniken und Foyers, die in Wirklichkeit als Catwalks konzipiert werden, sind klassische Mittel dieser Freizeitarchitektur. Das in den Neunzigerjahren aufgekommene Genre des - meist urbanen - Designerhotels hat es bis heute über weite Strecken nicht nötig, funktionale Kriterien zu beherzigen - das modische Styling scheint Existenzberechtigung genug.

Doch die gebaute Flucht aus der Tagesrealität - vielleicht auch nur aus dem unpraktischen Zimmer - muss nicht zwangsläufig an der Hotelbar enden. Sie kennt auch intimere Mittel. Japans verbreitete Love-Hotels sind ein klassisches Beispiel dafür. Hinweise auf Erotik und Voyeurismus belegen freilich auch in Themenhotels Fixplätze unter den baulichen Details - nicht zuletzt beim derzeit boomenden Phänomen des großstädtischen, von Spiegeln umflorten City-Spas.

Der Franzose Jean Nouvel, an sich kein Ko-Architekt der Spaßgesellschaft, platzierte im Luzerner "The Hotel" den Videoscreen immerhin schon vor Jahren an der Zimmerdecke. Doch auch der mehr oder weniger als Medienerfindung gepushte Zeitgeist-Hirnie des urbanen Nomaden inspiriert dieser Tage die Planer von neuen Hotelkonzepten.

Ganz hoch hinaus will man dabei wohl mit Plänen von Orbital-Hotels, die nicht nur bei Hilton International in der Schublade stecken. Auch Näherliegendes wird untersucht und mitunter realisiert: Der niederländische Künstler Dre Wapenaar empfiehlt etwa hängende Zeltbeutel als reisefertige Neonomaden-Software und durchaus konzeptuell gedacht ist der Ansatz, Touristen, in Interessengruppen zusammengefasst, in rollende Bushotels zu stecken.

Von Rom nach Gise mit Architekturfreaks wäre ein Beispiel dafür. Oder nach Südfrankreich mit Gourmets - wer weiß, vielleicht steckt ja sogar Feinschmecker Wolfram Siebeck im Kobel von nebenan. Neue Lösungen fasst schließlich auch das Genre des Business-Hotels ins Auge. Die Planergruppe "servo" bietet etwa nachrüstbare Lobbys an, die sich als eigenständige Funktionseinheiten an überalterten Hotels anbringen lassen.

Beim Hotel "Pro Forma" in der dänischen Stadt Orestad wird der Spieß radikal umgedreht - hier wird ein Bürogebäude mit Hotelnutzen und -infrastruktur versehen. Im Prinzip steigt man in einem Büro ab, das auch eine Schlafkabine aufweist.

Das "office away from office" stellt sich der Architekt Joel Sanders indessen schon ein wenig angenehmer vor: Bei seinem Konzept für ein Businesshotel sind die Übergänge zwischen Schreibtisch und Badewanne ziemlich fließend - und verbinden endlich Büro- und Badespaß! (Der Standard/rondo/10/01/2003)