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Montage/Foto:Archiv

Wien - Man kauft die Butter dort, wo sie am billigsten ist - findet aber gar nichts dabei, abends dann im Haubenlokal zu prassen. Die "Smart-Shopperin" kombiniert bei dieser Gelegenheit ungeniert den teuren Marken-Blazer mit einem modischen Teil aus einer Billig- Kette. Womit der "Und-und- und-Verbraucher" aus den Achtzigern und Neunzigern vom "Hier-mehr-dort-weniger-Verbraucher" abgelöst worden ist, so die These des Wissenschafters Peter Zellmann vom Wiener Boltzmann Institut für Freizeit- und Tourismusforschung.

"Luxese" - Luxus und Askese

"Luxese" - Luxus und Askese - nennt sich dieser Trend, der im Handel mittlerweile zum gefürchteten "Sanduhr- Effekt" geführt hat: Das oberste und teuerste Segment sowie die Diskonter boomen - doch in der Mitte wird es eng.

"Geiz ist geil", lautet folge richtig die Werbebotschaft eines heimischen Elektronik- diskonters. Reine Vorwärtsverteidigung: Denn dieser Trend bremst den Verkauf der bis dato heiß begehrten High- techware bei mittlerweile allen Anbietern. Weil keineswegs nur Kunden, die von der Rezession direkt betroffen sind, auf die Konsumbremse steigen.

Lessness

"Man hat alles, und es macht - speziell bei elektronischen Geräten - keinen Sinn mehr, sich sofort mit der nächsten Produktgeneration einzudecken, weil die ohnehin einem schnellen Preisverfall ausgesetzt ist und schon ein halbes Jahr später als ausgereifteres Modell zur Verfügung steht", erklärt Andreas Reiter, Zukunftsforscher mit privatem Büro in Wien.

Er ortet einen Trend zu "lessness" - auf gut Deutsch: weniger ist mehr. Die Devise 3. Spalte lautet: "Simplify your life" - freiheitseinschränkende, überflüssige Güter werden ab- oder gar nicht angeschafft.

Weil Luxus "demokratisiert" wurde und auch für Schnäppchenjäger aus weniger gehobenen Schichten zugänglich wurde, kann man sich mit teuren Modeartikeln ohnehin nicht mehr wirklich von der Masse abheben. Diese Markenmüdigkeit betrifft allerdings hauptsächlich die über 35-Jährigen, fügt Freizeitforscher Zellmann hinzu. Bei den Jungen ist das Markenbewusstsein nämlich ungebrochen.

Um auch die Älteren, Saturierten bei der Stange zu halten, legen einige Luxusmarken mittlerweile hochpreisige Artikel in limitierter Zahl auf: ein Versuch, wieder echte Exklusivität zu vermitteln.

Auf den Preis achten

Bei Massenartikeln hingegen - vom Fruchtsaft bis zum Flug - schauen auch finanziell gut gepolsterte Konsumenten auf den Preis. Das deutsche Magazin Stern wunderte sich kürzlich in seiner Titelgeschichte über "Die Magie des Billigen".

Kundschaft ist heutzutage besser informiert denn je - aber nicht in allen Segmenten

Fest steht dabei: Die Kundschaft ist heutzutage besser informiert denn je - allerdings nicht in allen Segmenten. Zellmann verweist in diesem Zusammenhang auf den Banken- und Anlagesektor, "den kein Mensch durchschaut". Wer kennt sich schon im Dschungel der Kontogebühren aus oder kann abschätzen, ob seine Lebensversicherung oder der Wertpapierfonds wirklich die beste (und billigste) Wahl war? "Da gibt’s einen großen Aufklärungsbedarf und zu viel Expertengläubigkeit in der Vergangenheit", sagt Zellmann im _Standard- Gespräch.

In der "reinen Konsumwelt" hingegen kann man in unseren Breiten fast niemandem mehr ein X für ein U vormachen. Dennoch wird die Mani 5. Spalte festation von Luxus zunehmend immateriell, glauben die Forscher übereinstimmend. Zeit, Sexappeal, Körperkult sind Stichworte dazu - man leistet sich etwa den "Luxus", eine Stunde pro Tag joggen zu gehen.

Kehrseite der Medaille

Von diesem Trend profitieren "Verwöhn-Dienstleister". Von "Anti-Aging" bis hin zur Sinnfindung lauten die Angebote für erschöpfte Vielarbeiter. Der Wiener Verhaltensforscher Klaus Atzwanger nennt sie "moderne Nomaden" und definiert "Luxese" auf seine eigene Weise. Für die erfolgreichen Workaholics bedeute der Begriff einerseits "früher Luxus": teure Autos, schöne Hotels, feine Restaurants.

Die nicht so tolle Kehrseite der Medaille sei der Verzicht auf ein "normales Sozialleben" - Familie und Freizeit. Alles gleichzeitig in Spitzenqualität gibt’s leider nie.

(Martina Salomon, DER STANDARD Printausgabe 21/22.12.2002)