Die Unabhängigkeit als Voraussetzung objektiven Handelns rückt nach Bilanzskandalen wie in den Fällen von Enron und WorldCom in Österreich durch den Österreichischen Corporate Governance Kodex (ÖCGK) noch weiter in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Zum Thema der Unabhängigkeit existieren schon bisher zahlreiche, teilweise kasuistische gesetzliche Regelungen und Empfehlungen, deren Beachtung geboten ist. Vor allem aber zählt das Bewusstsein für mögliche Interessenskonflikte: Unabhängigkeit ist eine Einstellungsfrage. Der ÖCGK will vor allem für eine Geisteshaltung der Fairness werben.

Prüfung und Beratung in einer Hand sind nicht per se als problematisch anzusehen - sondern nur dort, wo eine solche Doppelfunktion die Qualität der Prüfung negativ beeinflussen kann. Die Kenntnisse des Abschlussprüfers über das zu prüfende Unternehmen werden durch Beratungsaktivitäten wesentlich erweitert. Besonders von Familienunternehmen ist ein starker, erfahrener Wirtschaftsprüfer als unabhängiger sachverständiger Berater meist sehr erwünscht.

In den USA . . .

Die Frage der Vereinbarkeit von Prüfung und Beratung ist als Folge der Bilanzskandale des Jahres 2002 in den Mittelpunkt des Interesses einer breiten Öffentlichkeit getreten. Von den erwähnten Ereignissen besonders betroffen sind die USA und deren Kapitalmarkt. Die Reaktion fiel dort daher besonders heftig aus: Am 30. Juli trat der Sarbanes-Oxley Act in Kraft, mit dem unter anderem eine Aufsichtsbehörde zur Kontrolle der Jahresabschlussprüfung börsennotierter Unternehmen eingeführt sowie bestimmte Beratungsleistungen als mit der Tätigkeit als Abschlussprüfer unvereinbar erklärt wurden. Diese Leistungen sind unter anderem auch die Konzeption und Implementierung eines Systems von Finanzinformationen, die Erstellung bestimmter Gutachten sowie jede andere Dienstleistung, die das neue "Public Company Accounting Oversight Board" festlegt.

In Österreich beziehen sich die einschlägigen gesetzlichen Regeln betreffend der Vereinbarkeit von Prüfung und Beratung vornehmlich auf die Buchführung und die Erstellung des Jahresabschlusses. Die Frage einer Vereinbarkeit von Prüfungs-und Steuerberatungstätigkeit wird damit nicht behandelt. Der ÖCGK bespricht in Regel 74 die bestehende gesetzliche Regelung, wonach die wirtschaftliche Unabhängigkeit des Abschlussprüfers durch zusätzliche Geschäftsbeziehungen mit dem zu prüfenden Unternehmen - wie etwa durch Beratungsaufträge - nicht beeinträchtigt werden darf. Ferner ist in Regel 76 vorgesehen, dass der Bilanzausschuss eine Erklärung des vorgesehenen Prüfers darüber einzuholen hat, welche beruflichen, finanziellen oder sonstigen Beziehungen zwischen dem Prüfer und diesem nahe stehenden Unternehmen ("related parties") sowie seinen Organen und Prüfungsleitern einerseits und dem Unternehmen und seinen Organmitgliedern andererseits bestehen. Die Erklärung hat darüber hinaus darzulegen, in welchem Umfang im vorausgegangenen Geschäftsjahr andere Leistungen für das Unternehmen - insbesondere auf dem Beratungssektor - erbracht wurden und für das folgende Jahr vertraglich vereinbart sind.

. . . und in Österreich

Damit geht der ÖCGK, wie es der herrschenden Lehre in Europa entspricht, von der grundsätzlichen Zulässigkeit der gleichzeitigen Erbringung von Prüfungs- und Beratungsleistungen durch Wirtschaftsprüfer aus. Die Verpflichtung zur Offenlegung bedeutet, dass die Verantwortung für die Entscheidung, ob bestimmte Beratungsleistungen im Einzelfall mit einem Prüfungsauftrag vereinbar sind oder nicht, beim Abschlussprüfer verbleibt. Gegebenenfalls muss gegenüber dem Bilanzausschuss Rechenschaft abgelegt werden.

Die Vereinbarkeit von Prüfung und Beratung, insbesondere steuerlicher Art, ist in Europa nach wie vor gegeben. Wirtschaftsprüfer sind aber gut beraten, selbstkritisch zu hinterfragen, ob ein bestimmter Beratungsauftrag noch mit dem Prüfungsmandat vereinbar ist. Bestehen Zweifel an der Vereinbarkeit, sollte der Prüfer auf ein bestimmtes Beratungsmandat verzichten. (DER STANDARD, Printausgabe 17.12.2002)