Ströbele zu einer möglichen Koalitionsbeteiligung der österreichischen Grünen: "Aus der großen Entfernung sehe ich die politisch-inhaltlichen Gemeinsamkeiten eigentlich nicht."

foto: tim schaffrick
Hans-Christian Ströbele , geb. 1939 in Halle an der Saale. Beruf Rechtsanwalt. Gründungsmitglied der Grünen. 1998 Wahl in den Bundestag, Mitglied in mehreren Ausschüssen 2002 erringt Ströbele das erste und einzige Direktmandat für die Grünen. ( Dieses Direktmandat, wäre es nicht von Ströbele, sondern von der PDS gewonnen worden, hätte dafür gesorgt, dass die PDS wieder in den Bundestag eingezogen wäre, und dadurch die gesamten Mehrheitsverhältnisse in der Republik verändert...) Ströbele ist stellvertretender Fraktionschef und zuständig für Innen- und Rechtspolitik. Der Spiegel bezeichnete ihn als "zur Neben-Führungsfigur avancierter Unsicherheitsfaktor" der bundesdeutschen Republik. Mit Hans-Christian Ströbele sprach Tim Schaffrick .
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Sie haben immer wieder einen US-Angriff auf den Irak ohne UN-Mandat als völkerrechtswidrig bezeichnet.Könnten da die Grünen nicht ein bisschen lauter sagen: "Solange wir in der Regierung sind, fliegt niemand in kriegerischer Absicht über unser Land"? Ströbele: (lacht) Na ja, ich kann das ja eben nicht sagen, weil ich ja nicht die Regierung bin. Aber wir haben gerade auf dem Parteitag, übrigens auch durch meine Initiative, einen Antrag verabschiedet, der besagt, dass wenn es sich um einen völkerrechtswidrigen Angriff handelt, das heisst, wenn kein eindeutiges UN-Mandat einem Angriff zugrunde liegt, jegliche Unterstützung in Deutschland nicht nur verfassungswidrig, sondern auch strafbar ist. Da braucht man gar kein Grüner zu sein, das steht so im Grundgesetz. Die Frage wird nur immer sein: Ist es völkerrechtswidrig? Ist es ein Angriffskrieg? Darüber werden die Gelehrten streiten, und das wird dann auf die jeweilige Situation ankommen. Ich persönlich halte alle diese Überflugrechte, AWACS - Beteiligungen deutscher Soldaten etc... für falsch und lehne sie ab. Aber in jedem Fall bleibt es doch ein ungeheurer Fortschritt, wenn Deutschland dieses Mal nicht nur sagt: "Wir beteiligen uns nicht mit eigenen Soldaten, mit eigenen Flugzeugen und Panzern an einem solchen Krieg" - was die Amerikaner ja heftig von uns verlangen- sondern wir nehmen auch in der Weltdiskussion, ob in der UNO oder in Europa, gegen einen Krieg Stellung, indem wir ständig sagen: "Der Krieg ist falsch und verhängnisvoll und destabilisiert die gesamte Region". Das ist ist ein ungeheurer Fortschritt, den ich mir nicht kleinreden lasse. Wenn das beim Afghanistan- Krieg so gewesen wäre, oder beim Krieg gegen Serbien, wäre vieles anders und einfacher gewesen. Diese grosse Veränderung der Koalition gegenüber dem, was sie früher gemacht haben, muss man anerkennen. Stellen wir uns doch mal vor, Deutschland würde so reden wie bein Krieg gegen Serbien oder Afghanistan, da würde es heissen: "Ja, das ist ein schlimmer Finger, natürlich sind wir dabei, mal gucken, wieviel Soldaten wir da hinschicken". Für solch eine Haltung, wie sie die Bundesregierung jetzt vertritt, habe ich bei dem Afghanistan-Krieg lange Nächte gekämpft, leider erfolglos. Trotzdem kriegt man den Eindruck nicht los: Wenn der Hegemon das will, haben die Vasallen zu folgen. Ströbele: Ja, das stimmt ja auch. Und da schauen Sie mal nach, was da im alten Rom los war, wenn da ein Stamm oder ein Volk seine Legion nicht zur Verfügung gestellt hat. Allein dieses ständige Widersprechen ist sehr viel wert. Man hat manchmal in der Linken den Eindruck, entweder es gibt die "ganz saubere Lehre", oder sie sind auf der anderen Seite der Barrikade. Die rot-grüne Regierung hat ja unterm Strich, wenn man mal - was schwierig ist - die Kriege beiseite lässt, in der letzten Legislaturperiode eine durchaus vorzeigbare Bilanz. Es sind ja in vielen Bereichen, in Umwelt-, Steuer- und Energie- Politik, vorher nicht für möglich gehaltene Erfolge erzielt worden. Und jetzt hoffen wir, dass wir in dieser Legislaturperiode in den entscheidenden Fragen die Weichen stellen können: Wie kriegt man die sozialen Sicherungssysteme so verändert, dass das Soziale daran nicht verloren geht und sie trotzdem realitätstauglich werden? Weil sie das ja nicht sind. Die Renten sind hierzulande auf Dauer nicht sicher. Das muss man den Leuten sagen, die 20, 30, 40 Jahre lang einen Teil ihres mühsam verdienten Lohnes in die Rentenkasse gesteckt haben, dass ihnen das so nicht mehr ausbezahlt werden kann. Man könnte sich aber auch darüber unterhalten, eine staatliche Mindest - und eine Höchstrente in einem relativ schmal gehaltenen Bereich zu verabreden. Ihre Generation hatte das Leben lang einen höheren Lebensstandard als das, was sich für unsere "Generation Arbeitlos" da abzeichnet, und für die folgende Generation ist da erst recht kein Land in Sicht. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Väter und Mütter ihren Kindern die Haare vom Kopf fressen, alles immer auch auf Kosten der Ressourcen der Natur und der Umwelt. Dem muss bald ganz massiv Widerstand geleistet werden. Und wenn die Politik das nicht schafft, muss dem "Strassenkampf der Besserverdienenden" den die Opposition derzeit motiviert, die grosse Wut der "Nicht Angekommenen" entgegengesetzt werden. Ströbele: Die Argumente sind ja alle richtig, dass es so sowieso nicht weiter geht. Aber gehen Sie einmal auf eine Versammlung von Rentnern, die ihnen ihre Einnahmen und ihre Ausgaben gegenrechnen. Und da sitzen ja im Allgemeinen die mit den ohnehin nicht so grossen Renten. Wenn wir jetzt sagen, die Jüngeren müssen noch ein bisschen mehr zahlen, dann kommen wir noch über die nächsten Monate oder noch ein Jahr weiter, aber es muss sich da natürlich grundsätzlich etwas ändern. Es geht jetzt nur um Notlösungen. In zehn, zwanzig Jahren kriegen die Leute nur noch ein Drittel der jetzigen Rente, falls sich an dem gesamten System der Altersversorgung nicht jetzt etwas ändert. Es muss eine Übergangsphase geben. Man kann nicht zu den Leuten, die Ansprüche erworben haben, sagen "Wir nehmen euch das jetzt weg, weil es den anderen dann hinterher noch schlechter gehen wird". In einer längeren Umsteuerungsphase müssen wir praktisch die einen nicht um ihre Lebensleistung betrügen, und trotzdem so umsteuern, dass für die anderen die Lasten erträglich bleiben und sie trotz allem eine einigermassen erträgliche Alterssicherung haben. Man muss in diesem Zusammenhang das Thema Lebensleistung noch einmal neu diskutieren. Mein Vater beispielsweise war "Werkschutzleiter" bei Telefunken, hat denen ihre Rüstungsproduktion bewacht. Da frage ich mich dann, warum dieser Mann eine horrende Rente hat, während ich mit 37 Jahren, hochqualifiziert, aber arbeitslos, mit 590 Euro Arbeitslosenhilfe zurecht kommen soll. Ist die "Lebensleistung" der meisten dieser Leute wirklich so hoch? (Eine ähnliche Diskussion gibt es ja auch bei den Manager- Abfindungen...) Ströbele: Alles, was wir jetzt machen, ist nur dann zu rechtfertigen,wenn wir es schaffen, im nächsten Jahr einen Entwurf hinzukriegen, der eine Perspektive aufzeigt, wie das längerfristig wirklich gehen kann. Da geht es dann um eine soziale Grundversorgung, oder Grundrente, wie man das immer nennen will, die steuerfinanziert wird. Und diejenigen, die mehr als diese Grundversorgung haben wollen im Alter, müssen dann selber dafür sorgen. Herr Ströbele, Österreich steht vor einer neuen Regierungsbildung, und schwarz - grün ist eine, wenn auch unwahrscheinliche Option. Würden Sie es für die Grünen in Österreich für sinnvoll halten, sich auf einen Pakt mit Schüssel einzulassen? Ströbele: Das kann ich nicht beurteilen. Ich weiss, dass die ÖVP mit Schüssel durch das Zusammengehen mit der FPÖ unsere heftige Kritik erfahren hat, und zwar eine solch heftige Kritik, wie wir sie bei keiner anderen Regierungsbildung in Europa geäussert haben. Ich halte diese Kritik nach wie vor für richtig und fürchte, dass sich Schüssel dadurch für die Grünen koalitionsunfähig gemacht hat. Trotzdem muss man ihm zugute halten, dass er die FPÖ nun fast gedrittelt und Haider weitgehend beiseite geschoben hat. Das ist nun natürlich erst mal ein positiver Erfolg. Die Österreicher müssen das natürlich alleine entscheiden, aber aus der großen Entfernung sehe ich die politisch-inhaltlichen Gemeinsamkeiten eigentlich nicht. So geht das vielen österreichischen Grünen sicherlich auch. Trotzdem wird häufig kommentiert, dass ein solches Modell Charme hätte, und ein ÖVP-Abgeordneter appellierte unlängst (im Wiener Standard) dafür, "Beissreflexe abzulegen und Schubladisierungen aufzugeben", falls die Grünen wirklich wollten und die ÖVP bereit wäre, öko-sozial umzudenken. Ströbele: Also, wie ernst solche Ankündigungen der ÖVP zu nehmen sind und was man dem Herrn Schüssel glauben kann, kann ich nicht beurteilen. Das Entscheidende wäre ja letzlich, ob es eine Koalitionsvereinbarung geben wird, wo wichtige grüne Essentials, auch linke, soziale Essentials - beispielsweise in der Ausländer- und Flüchtlingspolitik - gewahrt bleiben. Das finde ich, gerade nach dieser vorherigen Koalition, ganz wichtig.