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Father Robert W. Bullock, Priester an der Our Lady of Sorrows Church und Leiter des Boston Priests Forum, will das Vertrauen in die Kirche wieder wecken.

reuters/snyder

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Foto: Archiv
Washington/Wien - In der Erzdiözese Boston hat sich der Skandal um die sexuellen Straftaten an Kindern weiter verschärft. In jüngst veröffentlichten Dokumenten wird enthüllt, dass Kardinal Bernard Law jahrzehntelang von den Vorfällen gewusst hat und die beschuldigten Priester trotzdem immer wieder von einer Gemeinde in die nächste versetzte. Aus den Dokumenten gehen auch erschütternde Details hervor: So hatte ein Priester junge Mädchen, die sich auf den Eintritt in einen Orden vorbereiten wollten, sexuell gefügig gemacht - mit der Behauptung, er sei die Inkarnation von Jesus Christus. Ein anderer Priester, immer noch in der Diözese tätig, hatte mit einer verheirateten Frau zwei Kinder. Als sie in einem Anfall von Verzweiflung eine Überdosis Medikamente eingenommen hatte, verständigte er erst nach ihrem Tod die Rettung. Die Diözese wusste von der Affäre und versetzte den Priester damals vorübergehend nach Kanada, wo er eine sexuelle Beziehung mit einer 18-Jährigen begann. "Skandal vermeiden" Als der Priester vor zehn Jahren offenbar von Verwandten der Toten gehindert wurde, seine Kinder zu besuchen, erzählte er Kardinal Law von der unterlassenen Hilfeleistung an der Sterbenden. Laut einem Bericht des Boston Herald, der die Kirchenakten zitiert, meinte der Kardinal dazu: "Skandal vermeiden." Immer stärker wird die Forderung nach Laws Rücktritt. Auch bei den rund 900 Priestern, die für das Seelenheil der mehr als 2,1 Millionen Katholiken der Diözese sorgen sollen, wächst Unmut. Unter den Geistlichen zirkuliert ein Rundschreiben, in dem Law respektvoll, aber unmissver-ständlich zum Rücktritt aufgefordert wird. Der Angegriffene weilt unterdessen zu Beratungen im Vatikan. Während erzürnte Katholiken längst vom "moralischen Bankrott" der Kirchenführung sprechen, erwägt der Kardinal einen Konkursantrag (DER STANDARD berichtete). Hintergrund sind rund 450 offene Gerichtsverfahren gegen die Diözese, alle wegen sexueller Übergriffe. Vertrauenskrise Die Schadenersatzforderungen übersteigen die für solche Fälle abgeschlossenen Versicherungen bei weitem. Mit einem Konkursantrag würde zwar das Vermögen der Diözese vorübergehend dem Zugriff der Kirche entzogen und einem Zivilrichter unterstellt, die Kläger könnten jedoch weit weniger als gefordert bekommen oder würden sogar leer ausgehen. Kritiker werfen dem Kardinal nun vor, auch eine Insolvenz könne das Vertrauen in die Kirchenführung und damit die Spendenbereitschaft nicht wiederherstellen. Zweifelnde Katholiken nämlich zücken ihre Kreditkarten jetzt lieber für konkrete soziale Projekte als für die Diözese. Rücktritt mit Folgen Der Kardinal hat sich zwar mehrfach öffentlich entschuldigt, einen Rücktritt bisher jedoch immer ausgeschlossen. Möglicherweise wird ihm jetzt vom Vatikan ein Koadjutor zur Seite gestellt. Sollte Law wider Erwarten doch sein Amt aufgeben, würde dies laut Kirchenkreisen eine Welle von Rücktrittsforderungen gegen andere Kardinäle nach sich ziehen, denen dieselbe jahrzehntelange Vertuschungspo-litik vorgeworfen wird - von Kardinal Edward Egan in New York bis nach Irland zu Kardinal Desmond Connell. (Edith Grünwald/DER STANDARD, Printausgabe 11.12.2002)