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Fernab vom Schuss zu sein bedeutet in der Umgangssprache, sich nicht im Zentrum des Geschehens zu befinden. "Wenn die Menschen in meinem Untersuchungsort im oberösterreichischen Mühlviertel über ihre Situation sprechen, verwenden sie immer wieder dieses Bild, um auszudrücken, dass sie nicht wirklich 'dabei' sind", erklärt Margit Böck vom Publizistik-Institut der Universität Wien. Internet und E-Mail können eine Brücke bilden, um räumliche und soziale Entfernungen zu überwinden. Wie aber schätzen die Menschen selbst die neuen Medien ein? Woher bekommen sie die für ihre persönliche Lebenssituation nötigen Informationen? Diesen Fragen geht Böck in ihrem vom Wissenschaftsfonds geförderten Projekt über die Kommunikationsverarmung in der Informationsgesellschaft nach. "Am Land stellt sich die Frage des Dabeiseins besonders deutlich. Ich möchte wissen, was Menschen zum 'Information-Highway' denken, wenn gleichzeitig öffentliche Infrastruktur und Nahversorgung ausgedünnt werden und es nur wenige traditionelle Informationsquellen wie gut sortierte Zeitschriftenhandlungen oder Buchhandlungen gibt", beschreibt Böck. Soziale Ungleichheit hängt auch mit mangelnden kommunikativen Fähigkeiten zusammen. Dass Leseprobleme die Chancen am Arbeitsmarkt verringern, gilt bereits als wissenschaftlich belegt. Für Margit Böck zeichnet sich bei den neuen Medien eine ähnliche Entwicklung ab: "Letztlich dreht sich mein Projekt um das, was schlagwortartig als 'Digital Divide' bezeichnet wird. Wenn man davon ausgeht, dass die Nutzung neuer Technologien immer stärker über Jobchancen und die Teilhabe an politischen Prozessen entscheidet, muss auch die Frage gestellt werden, warum manche gesellschaftlichen Gruppen keinen oder nur einen beschränkten Zugang haben." Sie distanziert sich dabei von der Annahme, dass diese Menschen bewusst Informationsquellen vermeiden: "Ich lehne es ab, ähnlich wie bei Arbeitslosigkeit die Betroffenen für ihr Schicksal verantwortlich zu machen und die Politik weißzuwaschen. Mir geht es um die strukturellen Hintergründe." Als Ausgangspunkt wählt Böck den Alltag der Menschen. Sie beobachtet, welche Kanäle gewählt werden, um im täglichen Leben zu den notwendigen Informationen zu gelangen: "Ich untersuche Gewohnheiten im Umgang mit Medien ebenso wie Kommunikation in der Familie, mit Freunden und Aktivitäten in Vereinen", erklärt Böck. Um das gesamte "kommunikative Repertoire" erfassen zu können, setzt sie nicht nur auf intensive Beobachtungen und zahlreiche Interviews. Auch die Menschen selbst werden aktiv mit einbezogen, indem sie ein "kommunikatives Tagebuch" über ihre Gespräche und Mediennutzung führen. Diesen sehr privaten Zugang verdankt die Kommunikationswissenschafterin zwei Umständen: Sie fand in der Gemeinde "Vertrauenspersonen" wie Lehrer oder Vereinsleiter, die für sie Familien kontaktierten. Und sie stammt selbst von einem Bauernhof im Mühlviertel, weshalb sie über den Dialekt Vertrauen gewinnen und eine gemeinsame sprachliche Basis aufbauen konnte. "Nur wenn man die Lebenssituation dieser Menschen genau kennt, kann man auch überlegen, wie ihnen die Nutzung neuer Medien nahegebracht werden kann", lautet ihre These, die durch ein Projekt in Großbritannien unterstützt wird. Dort gelang es, 200 von innerfamiliärer Gewalt betroffene Frauen aktiv in ein Internet-Projekt einzubeziehen: Sie berichteten Parlamentsmitgliedern in Onlinediskussionen von ihren Erfahrungen und brachten Vorschläge für Gesetzesänderungen ein. Die Frauen erlernten in ihnen vertrauten Zentren den Umgang mit dem neuen Medium, die Projektleiterinnen sicherten absolute Anonymität zu. Das Ergebnis: 82 Prozent der Frauen bewerteten ihr Engagement nachträglich als positiv. Sie nutzten das Internet, um sich anonym mit anderen Frauen in ähnlichen Situationen auszutauschen und empfanden den direkten Kontakt mit Abgeordneten als einen effektiven Weg, die Gesetzgebung zu beeinflussen. Konkrete Vorschläge für die Bildungs- und Regionalpolitik ausarbeiten möchte auch die Publizistin Margit Böck im Anschluss an ihr aktuelles Projekt. Die Detailergebnisse ihrer Beobachtungen würden zeigen, wie und warum Menschen in ländlichen Regionen Anschluss suchen. Darauf aufbauend könnten sinnvolle Anwendungen neuer Medien entwickelt werden, damit niemand mehr "fernab vom Schuss" leben müsse. (Elke Ziegler/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7./8 .12. 2002)