Längst überfällig ist die Retrospektive des Schaffens von Shohei Imamura, die das Österreichische Filmmuseum dieser Tage präsentiert: Zuletzt wurde der eigenwillige Altmeister des japanischen Kinos 1997 in Cannes für "Unagi" mit der Goldenen Palme prämiert.

Von Olaf Möller




Foto: Filmmuseum

Wien - Von Zeit zu Zeit findet die internationale Kinokultur zu einem veritablen Genie nicht durch ein Haupt-, sondern ein Nebenwerk.

So geschehen mit Shohei Imamura (geboren 1926 in Tokio), den die westliche Filmkritik erst mit seinem diskret-eingängigen Unagi - Der Aal (1997) so richtig für sich entdeckte - obwohl er in Japan schon seit Dekaden als der vielleicht größte lebende Filmemacher des Landes gilt.

Unagi (Der Aal) (1997)
Fr., 20. 12., 21.00

Foto: Filmmuseum

Wüst geht's zu bei Imamura - diesem Poeten der Unterschicht, des Subproletariats, der Bergbauern -, laut und heftig und prall und grausam: Sein Naturalismus ist geil und wuchernd und von allen Dämonen und Göttern besessen.

Es ist schwer vorstellbar, dass dieser intellektuelle Wüstling seine Karriere 1951 als Regieassistent ausgerechnet bei Yasujiro Ozu, dem Poeten der Sublimierung und Stasis, angefangen hatte.

Pigs and Battleships (1961)
Mo. 16. 12., 20.30

Foto: Filmmuseum

Imamura spielte bis in die 80er hinein die Bedeutung des Großmeisters für sein Schaffen immer herunter, demonstrierte dann aber mit dem (klar als Ozu-Hommage konzipierten) Kuroi ame / Black Rain (1989) seine Affinität zu dessen Kino und einsichtiger Gelassenheit, zu der er selbst erst einmal finden musste - was Kuroi ame zu einem Werk der Ankunft macht. Alles danach war die Heimkehr selbst.

Black Rain (1989)
Do., 12. 12., 20.45

Foto: Filmmuseum

Auf die Reise geschickt, wenn man so will, hatte ihn der in Japan extrem populäre B-Picture-Autorenfilmer Yuzo Kawashima, dessen Assistent er von 1954 bis 1958 war und dessen Philosophie - lebe schnell, denn das Leben ist nichts als Abschied - und Inszenierungsstil ihn entscheidend prägten: Kawashimas Meisterwerk Bakumatsu taiyo-den (1957), mit seinem anarchischen Geprassel, während im Hintergrund eine Revolution gärt - es hätte weit gehend von Imamura sein können (und war's wohl auch).

Vengeance is mine (1979)
Do., 20. 12., 18.30

Fotos: Filmmuseum

Der Vergleich mit diesem fröhlichen Chaos von einem Werk - dem er mit seinen gewaltigsten, eindringlichsten und undurchschaubarsten Werken, Eijanaika (1981) und Kanzo sensei / Dr. Akagi (1998, Bild), seine Referenz erwies - zeigt auch, dass sich Imamura bei seinen ersten Regiearbeiten irgendwie verlaufen hat.

Foto: Filmmuseum

Zumindest folgt er in ihnen nicht wirklich seinen Interessen und Instinkten; als er für seinen vierten Film, Nian-chan / My Second Brother (1959), einen Preis des Kultusministeriums erhielt, schockierte ihn die Erkenntnis seiner staatstragenden Betulichkeit selbst: Nun sei Schluss mit diesen bekömmlich humanen Filmen, soll er gesagt haben.



Imamuras Zweiter, eine bizarre Auftragsarbeit rund um einen Schlagerstar:
Nishi Ginza Station (1958)

Foto: Filmmuseum

Was nicht heißt, dass Imamuras Kino inhuman ist - im Gegenteil. Sein Interesse gilt dem allzu Menschlichen in seiner ganzen Wucht, das er mit dem anthropologischen Blick eines Knaben, der einem Schmetterling die Flügel ausrupft, betrachtet.

A History of Postwar Japan as Told by a Bar Hostess (1970)
Di., 10. 12., 18.30

Foto: Filmmuseum

Das reicht von einer Frau, die beim Orgasmus Geysire versprüht (Akai hashi no shita no nurui mizu / Warm Water Under a Red Bridge; 2001; Bild) bis hin zur Atombombe und der Poesie ihres penisförmigen Pilzes (Kuroi ame) und zu Selbsterhaltung in einer Welt, der man egal ist.

Warm Water Under a Red Bridge (2001)
Mi., 11. 12., 18.30

Foto: Filmmuseum

Triebe, wie die Protagonisten seiner frühen Meisterwerke erfahren, sind oft überraschend in den Richtungen, die sie dem Besessenen weisen, manchmal auch trügerisch und äußerst erratisch:

Eine vergewaltigte Ehefrau wird vom Opfer zur Mörderin in spe (Akai satsui / Intentions of Murder; 1964),...

Intentions of Murder (1964)
Mi., 18. 12., 20.30

Foto: Filmmuseum

... ein Pornograf verliert seine professionelle Distanz und findet seine wahre Berufung als zeitloser Erotomane (Jinruigaku nyumon - Erotogoshitachi yori / The Pornographers; 1966),...

The Pornographers (1966)
Do. 19. 12., 20.30

Foto: Filmmuseum

... Imamura selbst verliert, verwirrt von einer Frau, deren verschwundener Gatte gesucht wird, in seinem eigenen Film die Übersicht und (er-)findet dann - Tabula rasa! - das Kino ex negativo (Ningen johatsu / A Man Vanishes; 1967),...

A Man Vanishes (1967)
Di., 17. 12., 18.30

Foto: Filmmuseum

... während ein Angestellter aus der großen Stadt auf einer tropischen Insel spirituell strandet, wo Göttinnen in Schweinegestalt umherwandeln, Inzest alltäglich ist und Schamaninnen den Lauf der Dinge bestimmen/sehen, was ihn erst in den Wahnsinn treibt - und dann ins Glück (Kamigami no fukaki yokubo / The Profound Desire of the Gods 1968).

The Ballad of Narayama (1983)
(Goldene Palme des Festivals von Cannes)
Do., 12. 12., 18.30

Foto: Filmmuseum

Diese Filme haben alle etwas angenehm Asoziales, ihre Protagonisten charakterisiert die Egozentrik eines Kleinkindes. Schwingt sich Imamura zu Zeitpanoramen oder Chroniken auf - wie in Nihon konchuki / The Insect Woman (1963, Bild links), Eijanaika oder Zegen (1997, nächstes Bild) -, wird die Welt zu einem Bienenstock:

The Insect Woman (1963)
Sa. 14. 12., 18.30

Foto: Filmmuseum

Aus der Kakophonie des Surrens der Bedürfnisse und Begierden der Millionen heraus wird das Programm eines Freidenkerstaats vernehmbar - zumindest können wohl nur einem Freigeist Bilder wie etwa eine Schlange, die "Es gibt keine heiligen Kriege!" zischelt (9'11''01; 2002), kommen.

Zegen (1966)
Di., 10. 12., 20.30

Foto: Filmmuseum

Und überhaupt sollte man immer Leuten trauen, in deren Filmen sich Kröten über Menschen lustig machen.

(DER STANDARD, 10. 12. 2002)



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