Mit Matthew Barneys fünfteiligem "Cremaster"-Zyklus präsentiert das Österreichische Filmmuseum derzeit eine Gratwanderung zwischen Kunst und Kino: eine Bildermaschine, die assoziativ Mythen, Metamorphosen und Skulpturen verbindet.


Wien - Zusammenfügen zu einem Körper lassen sich die einzelnen Teile nicht. Eher handelt es sich um Glieder, die, einmal abgetrennt, ein unheimliches Eigenleben entwickeln, weiterwachsen und Metamorphosen durchmachen. Räume sind auf rätselhafte Weise miteinander verbunden, minimale Bewegungen bewirken anderswo choreographische Muster, Figuren treten ab und kriechen aus einem anderen Loch wieder hervor.

Matthew Barneys Cremaster-Zyklus, der aus fünf Teilen besteht, die im Laufe der letzten acht Jahre (in achronologischer Reihenfolge) hergestellt wurden, ist endlich komplett. Das Österreichische Filmmuseum präsentiert den Bastard aus Kunst und Kino in den nächsten Tagen erstmals in vollem Umfang.

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"Cremaster 1"

Foto: Filmmuseum/Courtesy Barbara Gladstone Galler

Benannt ist die Pentalogie bekanntlich nach einem Kontraktionsmuskel, der abhängig von der Außentemperatur die Bewegung der Hoden steuert. Im Film taucht sein Bild in wechselnder Form, unter anderem als Sattel oder als Nabelschnur zwischen Autos, immer wieder auf. Er steht für den Körperdiskurs, der die gesamte Arbeit durchzieht, ohne dass er sich in einer Aussage konkretisiert - der zumindest auf einen Zustand vor der geschlechtlichen Ausdifferenzierung, auf ein noch immanentes System verweist.

Der Muskel bildet jedoch auch eine Schnittstelle zu anderen Komponenten. Seien es die Musical-Arrangements eines Busby Berkeley im ersten Teil - welche wiederum die Coen-Brüder in The Big Lebowski parodierten -, Figuren aus der US-Popmythologie wie der Mörder Gary Gilmore, der auf seine eigene Hinrichtung bestand, oder der Entfesselungskünstler Harry Houdini, verkörpert vom Romancier Norman Mailer; Landschaften wie die Salzseen von Utah, das Chrysler-Building in New York oder Elemente der keltischen Mythologie.

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"Cremaster 2"

Foto: Filmmuseum/Courtesy Barbara Gladstone Galler

Barney webt aus diesen Zutaten ein dichtes Netz aus Analogien, das sich kaum interpretativ entwirren lässt. Die Bilder folgen keinen logischen Verkettungen, vielmehr werden bestimmte Bewegungen mit anderen assoziativ oder symbolisch in Beziehung gesetzt - etwa ein Motorradrennen auf der Isle of Man mit dem Kriechen des Fabelwesens "Loughton Candidate".

Loops ohne Worte

In der filmischen Umsetzung setzt Barney insgesamt eher auf Langsamkeit: Die Szenen sind wie Loops angeordnet, die sich bisweilen nur in minimalen Veränderungen voneinander unterscheiden. Das macht das Betrachten von Cremaster - der bis auf einen Teil auch ohne Worte auskommt, dafür von einem sphärischen Sounddesign getragen wird - zu einer Form von meditativer Übung.

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Matthew Barney (re.) in "Cremaster 3", dem zuletzt fertig gestellten Mittelteil des Zyklus

Foto: Filmmuseum/Courtesy Barbara Gladstone Galler

Vielleicht entspricht diese Rezeption jedoch Barneys Verständnis des Cremaster-Zyklus als einer Fortsetzung der Skulptur und der Performance. Eine der Errungenschaften des Kinos, vor allem des Sciencefiction-Genres, war es ja, das Vertraute über ein maschinelles Sehen in eine neue Optik zu rücken, in der es dann fremd erscheint.

Der Manierismus von Barneys Kompositionen, die an die opulenten Tableaus eines Peter Greenaway erinnern, übertrifft eine solche Wahrnehmung freilich noch, da dieses System hauptsächlich um sich selbst kreist: Weniger scheint es hier noch um außerfilmische Referenzen zu gehen, als darum, ein künstliches Produkt zu schaffen, das sich aus heterogenem mythologischen Material nährt. (Dominik Kamalzadeh/DER STANDARD, Printausgabe, 19.11.2002)

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"Cremaster 3"