Wien - Keine Vergangenheit zu haben: Im Kino des finnischen Regisseurs Aki Kaurismäki bedeutet das auch ein eklatantes, oft köstliches Defizit in der Gegenwart. Von Zukunft gar nicht zu reden.
Einerseits sind Kaurismäkis Bild- und Tonkompositionen selbst durchdrungen von Liebe und Respekt zu Filmen etwa von Jean Vigo, Jacques Tati, Ozu - und sie gewinnen gerade in der Sorgfalt und der Reduktion, die aus diesem Respekt resultiert, an Präsenz. Andererseits scheinen zwar seine Personen, wortkarg bis zum Verstummen immer "zeitlos", sei es nun Das Mädchen aus der Streichholzfabrik oder eben jetzt Der Mann ohne Vergangenheit - aber auch hinter ihnen steht eine Geschichte von Stehaufmännchen, die immer wieder das Beste aus miserablen Verhältnissen machen: Sie sind Repräsentanten einer Kontinuität, die zurückreicht bis zu Voltaires Candide und noch weiter.
Keine Vergangenheit zu haben: Das bedingt auch einen vorurteilsfreien Blick. Markku Peltola, gleich zu Beginn "erschlagen" und dann dem Totenlager entronnen, er sieht die Müllkippen und Containerlager am Rande der Stadt mit einer Unvoreingenommenheit, für die Wolkenballungen am Horizont gleich viel bedeuten wie die Primärfarben, die auf zerbeultem Metall zu leuchten beginnen, oder ein paar Erdäpfeln, aus denen (vielleicht) eine kleine Landwirtschaft entstehen könnte - gesetzt den Fall, dass dies gestattet wird.
Liebe - in diesem Fall zur unvergleichlichen Kati Outinen als Heilsarmistin - heißt hier, (noch) keinen Vergleich zu kennen, ihn aber auch nicht zuzulassen: Allein darüber wird Der Mann ohne Vergangenheit zu einer der anrührendsten Romanzen im Kino der letzten Jahre. Zu einem Film über das Prinzip Hoffnung, weil man ja - kurzfristig unwissend - die Hoffnungslosigkeiten der vergangenen Jahrhunderte außer Acht lässt.
Und es ist bezeichnend, dass der Gedächtnisgewinn am Ende doch nur in eine öde Einfamilienhaus-Gefangenschaft zurückführt. Dennoch: Vorsicht! Hier wird nicht weltfremd und manieriert Eskapismus betrieben, sondern der Regisseur weiß ganz genau, was er ausspart. Man spürt diese Aussparungen und Härten auch fortwährend: Nicht im dokumentarischen Blick auf reale Verhältnisse, sondern wie in einem Traum - über, so Aki Kaurismäki, "einsame Herzen mit leeren Taschen unter dem großen Himmel unseres Herrn, oder sollten wir sagen: der Vögel?"