Arbeitsmarkt
<b>Analyse</b>: Flaute und kein Ende
Knapp neun Prozent mehr Arbeitslose, Österreich beim Zuwachs EU-Spitze - Eine Zusammenschau von Michael Bachner
Wien - Ungewöhnlich früh,
nämlich schon vor Monatsende, wurden am Mittwoch die
Arbeitslosendaten für den Oktober veröffentlicht. Die gute
Nachricht, wenn man so will:
Die zweistelligen Zuwachsraten der vergangenen Monate
haben sich auf einen Anstieg
um 8,8 Prozent auf 213.514
Arbeitslose eingebremst. Die
schlechte Nachricht: Solange
sich die wirtschaftliche Situation nicht bessert - und damit
rechnen Wirtschaftsforscher
frühestens im Frühjahr bis
Sommer 2003 - ist auch auf
dem Arbeitsmarkt keinerlei
Entspannung zu erwarten."Talsohle erreicht"
Für Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Bartenstein ist angesichts der Oktober-Daten die "Talsohle erreicht". Er sieht bereits eine
Erholung auf dem Arbeitsmarkt. Dafür spricht aus seiner (Wahlkampf-)Sicht auch
ein Zuwachs an offenen Stellen beim Arbeitsmarktservice
(AMS). Außerdem liege die
Oktoberarbeitslosigkeit unter
den Oktoberwerten der Jahre
1996, 1997 und 1998, womit
sich Bartenstein einmal mehr
von Zeiten der großen Koalition abzugrenzen versucht, in denen er selber Umwelt- und
Familienminister war.
AK-Präsident Herbert Tumpel kontert: "Die Talsohle ist
keineswegs erreicht, der
Problemberg wächst." Auch
Wirtschaftsforscher Bernhard
Felderer (IHS) fürchtet jetzt
bis zu 320.000 Arbeitslose im
Winter, nach knapp unter
300.000 im Vorjahr.
Was stimmt jetzt also? Wer
sich ein genaues Bild über die
Arbeitsmarktlage machen
will, muss auch das Kleingedruckte in der Statistik lesen.
Weniger aktiv Beschäftigte
Bartenstein, der gerne von
Rekordbeschäftigung trotz
hoher Arbeitslosigkeit spricht,
verschweigt geflissentlich,
dass de facto nur durch den starken Anstieg an Karenz-
bzw. Kindergeldbezieherinnen um 22.000 die Beschäftigung gestiegen ist. Die Zahl
der "aktiv" Beschäftigten sinkt
in Wirklichkeit.
Nicht dazu gesagt wird auch
gerne, dass im Oktober rund
42.350 Personen (plus 6000
gegenüber Oktober 2001) in
Schulungen beim AMS waren
und daher nicht in der Statistik aufscheinen, obwohl sie
auf Jobsuche sind.
Genauso unerwähnt bleibt,
dass es schon im Herbst 2001
einen enormen Anstieg an Arbeitslosigkeit gab, der Zuwachs heuer daher geringer
ausfallen musste. Dazu Wifo-
Experte Ewald Walterskirchen: "Das ist evident und unstrittig. Österreich liegt beim
Zuwachs an Arbeitslosen im
Spitzenfeld der EU."
Raus aus der Statistik
Schon vor den letzten
Wahlen wurde noch unter SP-
Kanzler Viktor Klima eine
groß angelegte Job-Coaching-
Aktion aus dem Boden gestampft, um Arbeitslose rein
in Schulungen und raus aus
der Statistik zu bringen. Die
nunmehr scheidende Regierung macht es nicht anders.
Groß war dem Vernehmen
nach der Druck auf das AMS,
noch rasch Kursmaßnahmen
zu erfinden, die die Statistik
fristgerecht für den 24. November verschönern. Geld ist
dafür eigentlich keines da,
doch wen kümmert das noch.
Die Arbeitslosenversicherung
wurde von Finanzminster
Karl-Heinz Grasser um Milliarden erleichtert, die ins Pensionssystem gepumpt wurden. Das triste AMS-Budgetjahr 2003 muss schon die
nächste Regierung verantworten - hinter uns die
Sintflut. (Michael Bachner/DER STANDARD Print-Ausgabe, 31.10.2002)