Inland
Jugendgerichtshof: Übersiedlung angelaufen
Präsident Jesionek: "Kein Platz für unsere Häftlinge"
Wien - Übersiedlungskartons prägen derzeit das Bild im
Wiener Straflandesgericht. Einige Richter, Staats- und Bezirksanwälte
müssen ihre Zimmer räumen, um die per 1. Jänner 2003 vorgesehene
Eingliederung des Wiener Jugendgerichtshofs (JGH) in das so genannte
Graue Haus zu ermöglichen. "Rein vom Organisatorischen her ist zu
erwarten, dass alles klappt. Wir kommen dem Auftrag des Ministers
nach. Es geht sich vom Platz her aus. Wir haben halt ein bisschen
zusammenrücken müssen", meinte dazu der Präsident des Landesgerichts,
Günter Woratsch. Da das geplante Gesetz zur JGH-Auflösung auf Grund der vorzeitigen
Neuwahlen nicht mehr vom Nationalrat beschlossen werden konnte, hatte
Justizminister Dieter Böhmdorfer Ende September per Erlass die
Umsiedlung des JGH als gesamte Organisationseinheit ins Graue Haus
vorgenommen. Dieser justizpolitisch umstrittene Schritt sicherte dem
JGH zunächst den eigenständigen Behördencharakter.
Damit musste aber nicht nur Platz für 16 Jugendrichter, fünf
Staatsanwälte, die dazu gehörenden Kanzleien und 14 Mitarbeiter der
Jugendgerichtshilfe gefunden werden - innerhalb des Grauen Hauses
wird es auch ein eigenes Präsidium des Jugendgerichtshofs geben.
Sinnlos?
"Ich habe mir abgewöhnt, Fragen nach der Sinnhaftigkeit zu
stellen. Das sind politische Entscheidungen. Die kommentiere ich
nicht", bemerkte Woratsch zu diesem Punkt und den damit verbundenen
Kosten. Das JGH-Präsidium werde selbstverständlich ein eigenes Taferl
bekommen und für die Bevölkerung entsprechend kenntlich gemacht
werden: "Auf Bürgernähe legen wir Wert."
Der JGH soll den gesamten Trakt auf der Alser Straße erhalten,
womit er räumlich vom Rest des Justizgebäudes abgetrennt wäre. Die im
ersten Stock gelegenen Verhandlungssäle will Woratsch ausschließlich
den Jugendrichtern zur Verfügung stellen. Einige Richterzimmer werden
zu diesem Zweck ins Parterre verlegt, "und die Bezirksanwälte müssen
sich eben zu zweit in ein Zimmer setzen, wie es in ganz Österreich
üblich ist", so der Gerichtspräsident.
Akten für Böhmdorfer
Was jedoch mit dem umfangreichen Aktenlager des JGH geschieht,
gibt selbst Woratsch Rätsel auf: "In unserem gibt es dafür keinen
Platz mehr. Ich nehm es mir sicher nicht mit ins Zimmer! Vielleicht
nimmt es sich der Minister ja mit nach Hause."
Hermann Germ, Leitender Staatsanwalt im Justizministerium,
beruhigt. Das Aktenlager werde bis Frühjahr 2003 an der bisherigen
JGH-Adresse in Wien-Landstraße verbleiben - der Mietvertrag sei zwar
längst gekündigt, das Gebäude müsse aber erst Ende Juni endgültig
geräumt werden. "Bis dahin werden die Umbauarbeiten im Kellergeschoss
des Landesgerichts abgeschlossen sein. Es wird dort dann ohne
zusätzliche Mehrkosten ausreichenden Platz für die toten Akten
geben", erläuterte Germ.
Jesionek: "Chaotisch"
Der mit Jahresende in den Ruhestand wechselnde JGH-Präsident Udo
Jesionek bezeichnet die aktuellen Vorgänge als "chaotisch" und "etwas
dilettantisch". "Wir schreiben jetzt formell die Verhandlungen für
die neuen Säle aus, ohne zu wissen, wie das Ganze überhaupt
ausschauen wird", meinte er. Immerhin hätten noch Umbauarbeiten "in
Millionen Schilling-Höhe" stattzufinden. Wände müssten
niedergerissen, Kanzleien aufgebaut und mit der nötigen Infrastruktur
versorgt werden - "und wie ich höre, hat das Landesgerichtliche
Gefangenenhaus keinen Platz für unsere 150 Häftlinge".
Eine Darstellung, der das Ministerium widerspricht. Dass die
Jugendgerichtshilfe aus Platzmangel im Gefangenenhaus untergebracht
werden soll und damit Pflegschaftssachen praktisch im Gefängnis über
die Bühne gehen würden, irritiert allerdings sogar Richter im
Straflandesgericht, die lieber anonym bleiben möchten. "Das ist
Irrsinn. Ich kann ja nicht Kinder durch den Häf'n spazieren lassen",
heißt es hinter vorgehaltener Hand.
Kritiker der angelaufenen JGH-Übersiedlung hoffen daher, dass
diese doch noch "abgeblasen" wird. Die SPÖ hat sich in ihrem vor
wenigen Tagen vorgelegten Justizprogramm ebenso für eine Beibehaltung
des JGH ausgesprochen wie die Grünen, was bei manchen den Wunsch
nährt, nach den kommenden Wahlen könnte bei entsprechenden
Mehrheitsverhältnissen eine "Rückabwicklung" stattfinden. (APA)