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Gemüsehändler Sebastian Schier schnitzt am Dienstag auf einem Markt in Düsseldorf eine Fratze in einen seiner Kürbisse. Passend zum auch in Deutschland immer beliebter werdenden Halloween-Fest hat Schier mit den lustigen Köpfen seinen Stand geschmückt.

apa/epa/breloer
Wien - Die Hexennase um wohlfeile 9,80 Euro wird täglich Probe getragen. Das Hexenkleid vom Vorjahr passt zum Glück noch. Nur die Sache mit dem künstlichen Blut ist noch nicht ausgestanden: "Maaami, biiiitte", raunzt Leonie beharrlich, "ohne Blut ist es nicht gruselig genug!" Süße Sechsjährige im Halloween-Fieber können Eltern ganz schön Saures geben. Entziehen kann man sich dem schwarz-orangen Grauen kaum noch. Was vor ein paar Jahren mit ein paar orangen Lampions und gelegentlichem Kürbiskopf-Schnitzen begonnen hat, ist längst zu einem Highlight auf der Kinderfeten-Skala geworden. Ein reiner "Medienbrauch" sei das Fest, wettern die Gegner, die gar den Untergang des Abendlandes heraufdräuen sehen. Eine "verblüffende Erfolgsgeschichte" nennt hingegen der Wiener Kulturwissenschafter Bernhard Tschofen die Etablierung von Halloween in Österreich. Es sei eben ein "Fest zum Andocken", offen und flexibel und biete daher viele Anschlussmöglichkeiten an lokale Traditionen. Und: Halloween ist ein urbanes Fest. Verkürbissung Um das Jahr 1990 wurde Halloween in Wien nur in den Familien von Mitarbeitern Internationaler Organisationen gefeiert. Die zweite Schiene, über die Halloween hierzulande Fuß fassen konnte, war die Jugendkultur. In Discos und Studentenheimen wurde Halloween als eine Art zweiter Karneval gefeiert. Den endgültigen Durchbruch erlebte das Fest aber durch die "Verkürbissung der Welt" (Tschofen), die um 1993 einsetzte. Die "erlebnisorientierte Erfahrung des Landlebens in der Stadt", durch Bauernmärkte und Kürbisfeste, "wo dann wie sonst eine Weinkönigin plötzlich eine Kübisprinzessin gewählt wird, die eine perfekte Schnittstelle zu Halloween bietet". Aber, betont Tschofen, man dürfe nicht vergessen, dass diese Events "nicht authentisch sind", sondern von Regionalmanagern erdacht. Was als Wiederaufnahme alter Traditionen verkauft werde, sei etwas ganz Neues. "Ich frage mich eigentlich, warum Halloween nicht schon viel früher zu uns gekommen ist", sagt der Innsbrucker Volkskundler Oliver Haid. Immerhin sei dieses Fest schon seit Jahrzehnten über US-Fernsehserien auch in unserem Raum bekannt. Ende der 90er-Jahre hat das Grauen auch die Kinderzimmer erfasst. Haid: "Es hat sich hochgeschaukelt. In den Medien hat es immer mehr Berichte gegeben, in den Englischbüchern gibt es eigene Halloween-Seiten." Die Werbung habe schnell den "Schoko-Event" Halloween promotet. Mythos und Projektion Säkulare Feste bedürfen offenbar einer mythologischen Einbettung, daher gibt es auch zu Halloween die passende Entstehungsgeschichte. Der Brauch, heißt es, sei mit den irischen Auswanderern im frühen 19. Jahrhundert nach Amerika gelangt. Die Wurzeln sollen auf ein altes keltisches Fest zurückgehen, das "Samhain" genannt wurde. In der Nacht vom 31. Oktober zum 1. November ging das Jahr zu Ende. Man glaubte, dass in dieser Nacht der Schleier zwischen der Welt der Lebenden und der Toten besonders dünn sei und die Verstorbenen ihre früheren irdischen Wohnstätten wieder aufsuchten. Um sich in dieser Nacht vor bösen Geistern zu schützen, wurden in Irland Kerzen in ausgehöhlte Rüben gestellt. Im 9. Jahrhundert habe dann die Kirche an diese Traditionen angeknüpft und aus dem Brauch ein christliches Fest gemacht, Allerheiligen. Und die Bezeichnung "All Hallows Eve" für den Abend vor Allerheiligen, erodierte im Sprachgebrauch allmählich zu "Halloween". Für den Kulturwissenschafter Tschofen ist dies "reine Projektion". Halloween sei ein Fest der spätindustriellen Zeit, das aufbereitete Geschichten in sich verbinde, ein Fundus an globalem Wissen. Schon die Bezeichnung Kelten sei ein "Umbrella-Begriff", unter dem viele verschiedene Völker mit unterschiedlichen Kulturen zusammengefasst werden, die noch dazu keine schriftlichen Quellen hinterlassen haben. Aber die Diskussionen um Halloween lassen Leonie ohnehin völlig kalt. Hauptsache, die Kinderparty geht nicht unblutig vorüber. Ach ja, gestern war noch eine zweite Halloween-Einladung im Postkasten. Erwachsene, steht dort, sollen doch bitte auch verkleidet erscheinen. Und irgendwie beschleicht einen da der Gedanke, dass ein klein wenig künstliches Blut im Gesicht doch ganz apart aussehen könnte. (Tina Fernsebner-Kokert/DER STANDARD, Printausgabe, 30.10.2002)