Bild nicht mehr verfügbar.

Der Münchner Toxikologe Thomas Zilker vermutet ein Mittel, das Chloroform "sehr ähnlich" ist.

Foto: REUTERS/Michael Dalder
München/Berlin - Die deutschen Geiseln aus Moskau sind Montagabend aus dem Münchner Universitätsklinikum entlassen worden. Sie hätten "keine bleibenden Schäden" davongetragen, so der Leiter der Toxikologischen Abteilung, Thomas Zilker, am Dienstag. Die 18-jährige Schülerin aus Würzburg und der 43-jährige Stuttgarter Geschäftsmann werden nun zu Hause psychologisch betreut.

Nach Ansicht Zilkers haben sie bei der gewaltsamen Befreiung ein Narkosegas in hoher Dosis eingeatmet. Der Toxikologe, der als erster ausländischer Experte eine Analyse nach Untersuchungen von Betroffenen vornehmen konnte, geht davon aus, dass "kein Nervenkampfstoff eingesetzt" worden ist. Solche Substanzen ließen sich später im Körper noch nachweisen, was nicht der Fall gewesen sei. Typische Symptome bei Kampfstoffen seien auch "starke Krämpfe, die bei unseren Patienten nicht aufgetreten sind". Zilker geht davon aus, dass es sich um ein Narkosemittel handelt, das Chloroform sehr ähnlich sei. Zwischen einer angemessenen Dosis zur Narkose und einer Überdosis, die zum Tod führen könne, sei nur ein schmaler Grat, so Zilker.

Leonhard fordert Kritik

Warum die deutschen Patienten bereits in der Nacht zum Sonntag aus Moskau ausgeflogen werden konnten, darüber hüllen sich die Behörden in Schweigen. Allgemein wird auf das gute deutsch-russische Verhältnis verwiesen. Der renommierte Russland-Experte Wolfgang Leonhard äußerte im STANDARD-Gespräch die Hoffnung, dass die deutsch-russische Partnerschaft weiter vertieft, aber von deutscher Seite auch Kritik am Tschetschenienkrieg geübt werde. "Partnerschaft ist nicht Jasagerei. Die deutsche Seite hat durchaus das Recht, den Tschetschenienkrieg deutlich zu verurteilen und dagegen aufzutreten. Das ist nicht antirussisch, weil auch die Mehrheit der Russen diesen Krieg ablehnt."

Der gebürtige Wiener und Autor des bekannten Buches "Die Revolution entlässt ihre Kinder" hofft, dass "das westliche Ausland nicht nur Kontakte zu Präsident Wladimir Putin sucht, sondern auch zu den gemäßigten Kräften in Russland." Als russische Ansprechpartner nannte er Grigori Jawliniski, den Vorsitzenden der Oppositionspartei Jabloko, Boris Nemzow von der Partei "Union Rechter Kräfte" und die (zuletzt vom S TANDARD interviewte) Tschetschenien-Expertin Anna Politkowskaja. (Alexandra Föderl-Schmid /DER STANDARD, Printausgabe, 30.10.2002)