Flucht und Politik
Stockholm-Syndrom
Hamburg - Bei lang andauernden Geiselnahmen vergangener
Jahre ist wiederholt das so genannte Stockholm-Syndrom beobachtet
worden. Für Außenstehende auf den ersten Blick unverständlich,
entwickeln die Opfer in der lebensbedrohlichen, als ausweglos
empfundenen Situation Sympathie für die Täter oder solidarisieren
sich sogar mit deren Zielen. Das Phänomen ging 1973 nach einem
Banküberfall in der schwedischen Hauptstadt in die wissenschaftliche
Literatur ein, als sich dort ein freundschaftliches Verhältnis
zwischen Geiselnehmern und Opfern entwickelt hatte. Bei dem auch bei den Tätern zu beobachtenden Syndrom handelt es
sich um einen unterbewussten psychologischen Schutzmechanismus. Vor
dem Gefühl, ausgeliefert zu sein, schützen sich die Betroffenen
seelisch dadurch, dass sie sich mit ihren Peinigern identifizieren.
Diese Bindung kann auch nach dem Ende der Gefahr weiter bestehen. In
Extremfällen stellen sich die Geiseln bei ihrer Befreiung sogar vor
ihre Entführer und sehen die Polizei als Bedrohung an.
Beobachtet wurde das Syndrom etwa 1996/97 bei einigen der weit
mehr als 400 Geiseln von linksgerichteten peruanischen Guerillas in
der japanischen Botschaft in Lima. Prominent war der Fall der 1974
verschleppten 19-jährigen Tochter Patty des US-Verlegers Randolph
Hearst, die sich ihren Entführern anschloss. Aufsehen erregte auch
das Foto einer Umarmung zwischen der 1996 in Costa Rica gekidnappten
Deutschen Nicola Fleuchaus und einem ihrer Entführer. (APA/dpa)