Komme ich also vorgestern Abend der Einladung nach, die ich am Wochenende dem Extra der "Wiener Zeitung" entnahm: Der seit langem für seine sinnreich-ironischen Glossen geschätzte Beiträger des offiziellen Organs der Republik und Kollege René Freund lese aus seinen in Buchform gesammelten Diaria ("Stadt, Land und danke für das Boot", Picus Verlag), ward versprochen. Und gehalten.

Nach erfolgreicher Lesung komme ich mit ihm auf das tragische Schicksal zu sprechen, das ihm zwischen zwei gläsernen Schiebetüren widerfahren ist und das er in demselben Extra am Wochenende unter dem Titel Gefangen hinter Glas lebhaft geschildert hat.

Er berichtete darin von einem Haus, dessen Tore aus Sicherheitsglas sich Betretungsbefugten nur nach Kontakt eines Chips mit einer dafür vorgesehenen Kontaktstelle öffnen. Wer keinen Chip hat, etwa ein freier Mitarbeiter wie René Freund in diesem Hause, ist auf einen Portier angewiesen, der einen gelegentlich wiedererkennt und einlässt. Dennoch bin ich vor kurzem in die Falle getappt, und zwar, als er das Haus verlassen wollte. Als ich im Erdgeschoß ankam, öffnete sich wie immer die innere Glastür automatisch. Als ich gerade merkte, dass der Portier, der mir die äußere Glastür öffnen sollte, bereits heimgegangen war, schloss sich die innere Glastür hinter mir - und ich war in dem Zwischenraum gefangen.

Einen Kreativen bringt das nicht aus der Fassung. Ich begann, noch gelassen, die äußere Glastür nach Spalten oder anderen Fluchtmöglichkeiten zu untersuchen, aber da gab es keine Chance. Von draußen sahen die Passanten meinen Bemühungen teils interessiert, teils gerührt zu, und ich konnte erstmals nachvollziehen, wie sich die Affen in Schönbrunn fühlen. Die Sache eskalierte, Frauen versammelten sich vor der Glastür und starrten mich an . . . ich zog meine Bauchtanzshow ab . . . ich wurde geliebt, reich und berühmt, und als ich erwachte, stand der Chef vom Dienst vor mir und entließ mich.

Nun werden Sie fragen: Und was soll an diesem Traumschicksal tragisch sein? Na ja, der tragische Aspekt der komischen Angelegenheit besteht darin, dass besagtes Haus die Unterkunft der "Wiener Zeitung" ist und ein anderer sehr wohl die Fassung verlor, nämlich der Geschäftsführer der "Wiener Zeitung", ein gewisser Karl Schiessl. Der hat den Eingeschlossenen Anfang der Woche mit sofortiger Wirkung ausgeschlossen. "Ohne mit mir in direkten Kontakt zu treten", so Freund, "ließ er mich wissen, dass ich aufgrund dieser Glosse von der "Wiener Zeitung" nicht mehr beschäftigt würde." Und das nach siebzehn Jahren freier, erfolgreicher und unbeanstandeter Mitarbeit. Denn jemand, der derartige Probleme habe, die grundlegende strategische Ausrichtung des Unternehmens mitzutragen und diese auch noch im eigenen Blatt veröffentlicht, könne nicht Mitarbeiter der "Wiener Zeitung" sein, wurde dem Autor auf den weiteren Lebensweg mitgegeben.

Über die grundlegende strategische Ausrichtung des Amtsblattes der Schüssel-Republik Österreich hat die Öffentlichkeit bisher nur von Plakaten gewusst: Ich bin anders. Aber wer hätte geahnt, dass dieses Anderssein derartige Auswirkungen auch auf die Personalpolitik hat? Möglicherweise war diese Reaktion auf eine harmlose Glosse aber auch nur der Versuch eines persönlichen Beitrages zur Bundesstaatsreform. Etwas übereifrig, gewiss. Was wird denn dieser Geschäftsführer erst tun, wenn sich Mitarbeiter einmal eine kritische Meinung erlauben? Werden die zwecks Wahrung der grundlegenden strategischen Ausrichtung des Blattes vom Computer weg den Schergen der Justiz ausgeliefert?

Übereifer könnte man sich immerhin erklären. Die Funktion eines Geschäftsführers der "Wiener Zeitung" wurde in guter Voraussicht im Juli 2002 ausgeschrieben. Und in derselben Nummer, die den Text Gefangen hinter Glas enthielt, fand sich ganz oben im amtlichen Teil ein anderer, mindestens ebenso bemerkenswerter: Zum Geschäftsführer der Wiener Zeitung GmbH für die Funktionsperiode 1. Juli 2003 bis 30. Juni 2008 wurde Herr Mag. Karl Schiessl bestellt. Das deutet auf die grundlegende strategische Ausrichtung hin, mit der das offizielle Organ der Republik versehen werden soll, egal, was am 24. November geschieht. Obwohl die Funktionsperiode des grundlegenden Ausrichters erst Mitte 2003 ausläuft, wurde er schon jetzt bestellt, und das gleich bis 2008 - da fürchtet offenbar jemand bereits heute, die Wahl des Jahres 2006 zu verlieren.

So tragisch ist die Sache aber auch wieder nicht. Nicht nur, weil René Freunds Chancen vielleicht gar nicht so schlecht stünden, sollte er auf rückwirkende Anstellung klagen. Zum Glück ist der Chefredakteur der "Wiener Zeitung" auch der langjährige und ausgezeichnete Präsident des Presseclubs Concordia, zu dessen Prinzipien das Eintreten für Presse- und Meinungsfreiheit gehört. Und wer ihn kennt, weiß, dass das für ihn keine leeren Worte sind, schon gar nicht im eigenen Haus. (DER STANDARD, Printausgabe vom 25./26./27.10.2002)