Die Grünen bliesen zum Wahlkamfauftakt in Graz zum Sturm - ÖVP reagiert gekränkt und fordert Entschuldigung
Redaktion
,
Wien/Graz -
Helle Empörung bei der ÖVP über einen Sager des
Grünen Bundessprechers Alexander Van der Bellen. Die Aussage beim
Wahlkampfauftakt der Grünen, Kanzler Wolfgang Schüssel habe
"Alzheimer zum Schutzpatron der Politik machen wollen", habe ihn,
Schüssel, "sehr gekränkt", so der Kanzler heute, Dienstag, bei einer
Pressekonferenz. Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat forderte eine
Entschuldigung.
"Das ist eine ausgesprochene Kränkung von hunderttausenden
Menschen, die unter dieser schrecklichen Krankheit leiden. Dies für
einen politischen Gag oder Witz zu missbrauchen, ist eigentlich
bezeichnend für Professor Van der Bellen", sagte Schüssel.
"Es ist unglaublich, dass gerade Alexander Van der Bellen, der von
anderen immer besondere Sensibilität einfordert, nicht davor
zurückschreckt, schwer kranke Menschen für Wahlkampfzwecke zu
missbrauchen", so Rauch-Kallat. "Ich fordere Alexander van der Bellen
dringend auf, sich umgehend bei allen Alzheimer-Patienten und deren
Angehörigen zu entschuldigen. Diese haben ohnehin genug zu leiden und
müssen es sich nicht gefallen lassen, dass sich ein offensichtlich
wild gewordener Politiker über sie lustig macht."
Wahlkampfauftakt der Grünen
In Graz müsste man
sein, haben sich Österreichs
Grüne gedacht. Und - gesagt,
getan - gestern, Mittwoch, ihren Wahlkampf in der Hauptstadt der grünen Steiermark
eröffnet. Auf dass diese und
mit ihr ganz Österreich noch
grüner werde, sofern am
24.
November möglichst viele
Wähler den Grünen auch
wirklich grün sind.
In Graz müsste man sein,
haben Österreichs Grüne
vielleicht auch deshalb gedacht, weil sich diese Stadt
gegenwärtig ganz hervorragend zur Abhaltung von Ritualen eignet. Was für den
Dalai-Lama und seine Anhänger recht ist, sollte für Alexander Van der Bellen und sein
Team doch billig sein.
Schließlich ist so ein Wahlkampfauftakt doch auch ein
Ritual.
Und alsbald war dafür auch
der stimmige Schauplatz gefunden. Ein relativ neues geräumiges Gewölbe im Grazer
Schlossberg, das als Schauplatz diverser ritueller Veranstaltungen wie Modeschauen,
Partys und Disconächte zur-
zeit total in ist.
Am helllichten Vormittag
hat der Eintritt in das Kunstlicht der Höhle freilich etwas
Konspiratives. Auch wenn das
Gegenteil geplant war: nämlich dass das, was man sah
und hörte, möglichst rasch eine möglichst weite Runde
macht.
Von Grün war im selbst gewählten Troglodyten-Dasein
außer ein paar Lorbeerbüschen neben dem Podium und
zweier an den Plafond gehefteten Würsten aus grünen Luftballons naturgemäß wenig zu sehen.
Doch wenn's ans Eingemachte geht, ist man bei den
Grünen, was die Farbe betrifft,
nicht sonderlich zimperlich.
So wird kein Grüner, der was
auf Toleranz hält, Eva Glawischnig hinterher ankreiden,
dass ihr Outfit - knallroter Hosenanzug zum pechschwarzen Haar - eher andere koalitionäre Assoziationen weckte
als die anvisierten. Überdies:
Grüne Haare, das wäre doch
wirklich auch nicht sehr gut
gekommen.
Zukunft mit Rückgrat
Haare scheinen für die Grünen momentan überhaupt
weniger wichtig, ausgenommen jener, die ÖVP und FPÖ
bei den Wahlen zu ihren
Gunsten lassen mögen. Laut
grünem Wahlkampfplakat hat
unser Vaterland nämlich ein
ernstes orthopädisches Problem, denn: "Österreich
braucht jetzt Rückgrat."
Über diese Diagnose lässt
sich freilich streiten. Bis dato
hat für den Großteil heimischer Eliten eine dicke Haut
doch vollkommen ausgereicht. Kaum anzunehmen,
dass das offizielle Österreich
eine so schwer wiegende chirurgische Korrektur ohne bleibende und schwere diplomatische Behinderung überstehen würde. Weil wir das
Rückgrat ja erst bekommen
sollen und man aus einer
Höhle wirklich nicht besonders weit sehen kann, waren
daher auch alle - für manchen
Grünen vielleicht doch - immer dringlicher werdenden
Fragen der Weltpolitik selbstverständlich kein Thema.
Zur Entschädigung bereicherte Alexander Van der
Bellen den Himmel um einen
neuen Heiligen, indem er
Alois Alzheimer zum Schutzpatron der österreichischen
Innenpolitik erklärte. Durch
dessen gnädiges Wirken haben alle wahlwerbenden ÖVP-
ler den ganzen Schmarren,
den sie in der rot-schwarzen
Koalition mit angezettelt haben, offenbar völlig vergessen.
Feuer auf Schüssel
Dies zählte zu den besten
rhetorischen Treffern im Verlauf des humorigen Trommelfeuers, das Van der Bellen aus
dem Grazer Schlossbergbunker auf den scheidenden und
wiederkehren wollenden
Bundeskanzler eröffnete.
Letzterer oder dessen Spin-
Doktoren haben allen Gegnern
mit dem Slogan "Wer, wenn
nicht er." zweifellos einen
Elfmeter aufgelegt, den Van
der Bellen zum Gaudium der
nicht eben in Überzahl erschienenen Gäste (darunter
Freda Meissner-Blau) in Permanenz zu verwandeln verstand: Wer, wenn nicht er, hat
die FPÖ in die Regierung geholt. Wer, wenn nicht er, hat
zu allen rhetorischen Ausritten Haiders geschwiegen?
Wer, wenn nicht er, stärkt dem
ÖVP-Innenminister bei dessen FPÖ-Asylpolitik den Rücken? Das liest sich weniger
lustig, als es sich in Van der
Bellens von Frage zu Frage
mehr tirolerisch werdendem
Dialekt anhört.
Noch lustiger hört sich an,
wie er den Studenten erklärt,
dass sie, für den Fall, dass sie
ihren Hauptwohnsitz woanders haben und in Graz (die
Grünen, wen sonst) wählen
wollen, dazu eine Wahlkarte
brauchen. Mag mancher IQ
auch für einen Magister reichen, so noch lange nicht zum
Wählen. Das denkt sich der
Herr Professor aber nur.(Peter Vujica/DER STANDARD, Printausgabe, 22.10.2002)
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