Bremen - Die deutschen Grünen haben mit
überwältigender Mehrheit den Koalitionsvertrag mit der SPD gebilligt.
Beim Parteitag in Bremen am Freitag stimmten die rund 750 Delegierten
trotz ihres Ärgers über die Laufzeitverlängerung für das
Atomkraftwerk Obrigheim dem Vertragswerk zu. Letztlich überwog die
Einstellung, dass die Chance weiter mitzuregieren schwerer wiegt als
der Unmut über die Geheimabsprache zwischen Bundeskanzler Gerhard
Schröder und dem AKW-Betreiber EnBW.
Die Grünen-Spitze hatte im Verlaufe der Debatte heftige Vorwürfe
an Schröder gerichtet, der ihrer Meinung nach den Koalitionspartner
in der Frage des Atomausstieges hintergangen hat. Parteichef Fritz
Kuhn sagte: "Es liegt mit Obrigheim ein Schatten über dem
Koalitionsvertrag, aber er kommt von Bundeskanzler Schröder und nicht
von Bündnis 90/Die Grünen". Er wolle den Kompromiss, dem zufolge
Obrigheim zwei Jahre länger am Netz bleiben muss, nicht als Erfolg
darstellen. Aber man müsse das Ganze des Koalitionsvertrages vor
Augen haben, sagte Kuhn und warb für dessen Annahme.
Fischer: Emotionen teilen
Auch Außenminister Joschka Fischer rief den Delegierten zu: "Ich
teile die ganzen Emotionen." Er sei aber entschieden gegen die
Alternative gewesen, die Koalition platzen zu lassen. Im
Koalitionsvertrag "haben wir vieles durchgesetzt von den grünen
Wünschen", gab er zu bedenken. Auch Ko-Chefin Claudia Roth erklärte,
der Koalitionsvertrag trage eine klare grüne Handschrift. Sie verwies
auch au die erweiterten Zuständigkeiten der grünen Minister in der
kommenden deutschen Regierung.
In dem Antrag zu Obrigheim, den der Parteitag annahm, wurde
Bundeskanzler die "volle und alleinige Verantwortung" für die
Laufzeitverlängerung zugewiesen: "Dies ist ein Umgang mit dem
Koalitionspartner, den wir nicht akzeptieren können, und der sich
nicht wiederholen darf." Die Antragsteller forderten, dass das
Atomkraftwerk "innerhalb dieser Legislaturperiode" abgeschaltet
werden müsse. Dieses ist laut Kompromiss mit der Energie
Baden-Württemberg (EnBW) allerdings bereits sicher gestellt.
Obrigheim geht nun statt im März 2003 im Frühjahr 2005 vom Netz.
"Böser Schatten über der Bilanz"
Auch Umweltminister Jürgen Trittin sagte zum Atomstreit, es liege
ein "böser Schatten", "ein roter Schatten" über der Bilanz der
Koalitionsverhandlungen. "Dies ist kein guter Kompromiss",
kritisierte er. Gleichzeitig betonte er, dass dadurch keine einzige
Kilowattstunde Atomstrom zusätzlich produziert werde. Kuhn und Fischer stimmten die Delegierten auf vier harte Jahre
ein. Die Koalitionsvereinbarung sei eine solide Arbeitsgrundlage für
die kommende Legislaturperiode, sagte Kuhn. Bei den nun notwendigen
Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt sowie in den Sozialsystemen
stünden "schwierige Zeiten und harte Tage" bevor. "Wir müssen ernst
machen im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit", mahnte Fischer und
forderte seine Partei zu "Realismus" auf. Beide erteilten einer
reinen Sparpolitik, die die Konjunkturschwäche nicht berücksichtige,
eine Absage.
Trennung von Amt und Mandat steht an
Der Grünen-Parteitag lehnte mit Mehrheit die Forderung ab, dass
der bisherige Fraktionschef Rezzo Schlauch wegen seiner Verwicklung
in die Flugmeilen-Affäre kein Amt in der Regierung übernehmen solle.
Schlauch hatte dienstlich erworbene Bonus-Meilen privat genutzt, nach
Bekanntwerden aber den Betrag dem Bundestag erstattet. Er ist als
neuer Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft
vorgesehen.
Die Delegierten wollten am Samstag auch über eine
Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat entscheiden. Dafür ist eine
Zweidrittelmehrheit erforderlich. Nicht ausgeschlossen war, dass sich
der parteiinterne Ärger über Obrigheim in dieser Diskussion entladen
wird. Die Reform ist Voraussetzung dafür, dass Roth und Kuhn im
Dezember wiedergewählt werden können. Beide haben bei der Wahl am 22.
September ein Bundestagsmandat errungen und wollen sich im
Zweifelsfall für ihr Mandat entscheiden.
Die SPD will über den Koalitionsvertrag bei einem Parteitag am
Sonntag in Berlin abstimmen. Das Regierungsabkommen für die nächsten
vier Jahre war am vergangenen Mittwoch von den Führungen beider
Parteien unterschrieben worden. Rot-Grün war bei der Bundestagswahl
am 22. September mit knapper Mehrheit bestätigt worden. (APA/dpa/AP/Reuters/AFP)
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