"Die Wiederkehr des ORF als Staats- und Regierungsfernsehen": Ziemlich genau zwei Jahre ist es her, dass der Kunstkritiker Georg Schöllhammer ("Springerin") dies im STANDARD befand.Anlässlich einer Reform des Grafikdesigns in Richtung "Sportgummi" (ORF 1) und "imperial-gemütlichem Rotgold" (ORF 2) schrieb er: Der ORF zeige erstmals deutlich, "mit wem er gehen will: mit einer neuen Politik, die darauf abzielt, soziale Risiken zu individualisieren, und auf die Forderung nach größeren Gestaltungsräumen mit einem ,Angebot' an die Subjekte reagiert, sich aktiv an der Lösung von Problemen zu beteiligen, die bislang von staatlichen Einrichtungen bearbeitet wurden. Wir werden uns daran gewöhnen." "Rotgold"-Klientel und "Sportgummi"-Segment Bevor wir uns nun aber so sehr daran gewöhnen konnten, dass wir schon wieder begehrlich zu anderen Sendern hinüberlugen, versprach der ORF jetzt auf Plakaten und Inseraten "Absolute More Fun". Für die "Rotgold"-Klientel steht der Slogan immerhin auf bravem Rot-Weiß-Rot. Trotzdem: Der neue Innovationsschub bedient vor allem das "Sportgummi"-Segment. Nach einer Woche "Alles bleibt besser" ist einigermaßen deutlich, dass der ORF gegen die Konkurrenz der Privatsender weiter alt aussieht, sich gleichzeitig dennoch konsequent vom ursprünglichen Sendeauftrag entfernt. Nivellierung des Kulturauftrags zu Spaßkultur-Beiträgen Kurz: Das, was jugendlich fetzen soll - das "Sportgummi"-Magazin "25" etwa -, tut das niemals so vulgär und gleichzeitig professionell wie vergleichbare Sendungen bei RTL und Co. Gleichzeitig leiden die Infoschienen eher unter den knalligen Logos und Studios, weil darin die Betulichkeit umso stärker zum Tragen kommt. "Newsflash" etwa orientiert sich in Niveau und Brisanz weniger an CNN als am guten alten "Panoptikum". Der Rest (aus Spargründen): ein paar neue Serien, die mit ein wenig Hipness (Ali G.!) wettmachen, dass der Kulturauftrag zu Spaßkultur-Beiträgen nivelliert wird. Kein eigenes Menü ... Was sich zudem als Falle erweisen könnte: In seiner Rhythmik scheint das ORF-Programm so sehr von Sprunghaftigkeit dominiert, dass gerade junge Zuseher dem vermutlich mit heftigem Zappen hinüber auf andere Kanäle nachhelfen könnten. Immer mehr liefert man am Küniglberg kein eigenes Menü, sondern agiert als Lieferant für größere Fastfoodketten, als Durchlauferhitzer. Öffentlich-rechtliches Fernsehen: "Eine charakteristische Institution einer Übergangsphase, in der wesentliche Bedürfnisse der Kommunikation nicht mehr dem bloß kapitalistischen Mechanismus anvertraut werden, wirksame neue Formen der öffentlichen Kontrolle aber nicht existieren." Am Fall ORF kann man hervorragend studieren, was dieser Befund von Oskar Negt und Alexander Kluge (in Öffentlichkeit und Erfahrung, 1972) tatsächlich bedeutet. Bis der Spaß irgendwann einmal Ernst macht Wenn man sich ein klares Bekenntnis zu eben diesem Fernsehen nicht leisten will (wie die heimische Politik) und in Folge ökonomisch auch nicht leisten kann (wie eben die ORF-Verantwortlichen), dann nähert sich die Übergangsphase ihrem Ende. Unkontrolliert kommt der lächelnd behauptete Spaß am Besserbleiben zum Recht, das er für sich behauptet. Lächelnd fletschen Armin Assinger, Arabella Kiesbauer, Vera Russwurm und Christoph Feurstein auf den ORF-Inseraten die Zähne - bis der Spaß irgendwann einmal Ernst macht. Eigentlich ist Sportgummi überholt. Dann hat der ORF genauso wenig Zukunft wie die Kulturschienen, die man sich jetzt erspart. Nullperspektiven Denjenigen, die jetzt also keine Sendeflächen für sich beanspruchen können, bliebe auf Dauer also nur eines: kritische Gegenproduktion. Dass sie dafür in absehbarer Zeit weder den Markt noch die Ressourcen vorfinden, ist eine jener Nullperspektiven, die gegenwärtig im heimischen Wahlkampf tunlichst nicht thematisiert werden. (DER STANDARD; Printausgabe, 19./20.10.2002)