Sechs Monate nach den Parlamentswahlen, die in Ungarn einen Regierungswechsel von populistisch-konservativ zu linksliberal gebracht haben, stehen am Sonntag im ganzen Land Kommunalwahlen auf dem Programm. Sie sind ein Stimmungstest für das neue Kabinett - umso mehr, als die vorangegangene Parlamentswahl ungemein bitter ausgefochten wurde.Der abgewählte Ministerpräsident Viktor Orbán tat sich äußerst schwer, seine knappe Niederlage zu verdauen. Seit Wochen tourt er durch die ungarischen Provinzen, um die Schlappe vom April als unerklärlichen Unfall irgendwie rückgängig zu machen. Leicht wird das nicht sein, denn auch der neue sozialistische Ministerpräsident, Péter Medgyessy, zieht fleißig durch die Lande. Sein mit Lohnerhöhungen für die öffentlichen Bediensteten und anderen sozialen Wohltaten garniertes Hunderttage-Programm hat die aus Sozialistischer Partei (MSZP) und liberalen Freien Demokraten (SZDSZ) zusammengesetzte Koalition stabilisiert. Amtsinhaber Demszky Favorit Daran ändert auch nichts, dass die Regierungspartner bei der Wahl des Budapester Oberbürgermeisters gegeneinander antreten. Der seit zwölf Jahren agierende Amtsinhaber Gábor Demszky (SZDSZ) hatte seine Wiederkandidatur ohne vorherige Konsultationen mit dem großen Koalitionspartner angemeldet. Dieser schickte daraufhin die farblose Kommunalpolitikerin Erzsebét Gy. Németh ins Rennen. Demszky gilt allerdings als hoher Favorit. Dass der offiziell "unabhängige", aber von Orbáns außerparlamentarischen "Bürgerkreisen" unterstützte ehemalige Fecht-Olympiasieger und Sportdiplomat Pál Schmitt als lachender Dritter gewinnen könnte, gilt als unwahrscheinlich. In Budapest hat man noch nicht vergessen, dass die Regierung Orbán vier Jahre lang die "sündige" Hauptstadt als einen feindlichen Faktor behandelte. Sozialistenchef und Außenminister László Kovács erklärte jüngst, dass die sozialliberale Koalition mit einem Sieg in 16 von 22 Großstädten rechne. Derzeit steht es elf zu elf zwischen dem links-liberalen und dem rechten Lager. Orbáns "Bürgerkreis"-Kandidaten dürften sich wiederum in zahllosen kleinen Dörfern durchsetzen. Die innenpolitische Konfrontation hat unterdessen mit dem nahenden EU-Beitritt an Schärfe zugelegt. Zwecks Beitritt muss das ungarische Parlament mehrere, an sich nur formale Verfassungsänderungen beschließen. Für die dafür nötige Zweidrittelmehrheit braucht das Regierungslager auch die Zustimmung der Opposition. Diese will Orbán, wie er auf seinen gut besuchten Straßenkundgebungen mehrfach angekündigt hat, nur im Falle der Erfüllung seiner innenpolitischen Forderungen geben. Kovács konterte nun, dass man sich nicht unter Druck setzen lassen wolle und nötigenfalls vorgezogene Neuwahlen anberaumen werde. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.10.2002)