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Jan Peter Balkenende hat gute Chancen, die Neuwahlen zu gewinnen

Foto: REUTERS/Guido Benschop
Hat sich etwas verändert in den Niederlanden? Die Zeitungen titeln vom Rücktritt der Regierung, von Regierungskrise und Neuwahlen, doch so richtig aufgerüttelt scheint keiner. Es ist ja nicht das erste Mal in diesem Jahr. Im April ist erst die Regierung von Premier Wim Kok zurückgetreten, bevor sie dann am 15. Mai von den Wählern in die Wüste geschickt wurde. Déjà vu? Wirklich nicht. Kok war alt, müde, hatte die Kontrolle über einige seiner Minister verloren und den richtigen Zeitpunkt zum ehrenvollen Abtritt verpasst. Der junge, fast bubenhaft wirkende Premierminister Balkenende, der sich zur Königin aufmacht, den Rücktritt des Kabinetts bekannt zu geben, wirkt alles andere als verbraucht, frustriert oder auch nur enttäuscht. Krisenstimmung? Weit gefehlt. In dieser Regierung kriselte es bereits seit ihrer Entstehung, ohne dass das anfänglich jemanden gestört hätte. Kaum hatte ihn die Königin mit der Regierungsbildung betraut, äußerte Balkenende Zweifel, ob die "Liste Pim Fortuyn" (LPF) homogen genug sei zum Mitregieren. Doch für die politisch-moralische Wende, die sie auf ihre Fahnen geschrieben hatten, brauchten die Christdemokraten die LPF. Politisch sattelte sie das Pferd von hinten auf: Erst gewann sie die Wahlen, dann baute sie ihre Strukturen auf. Nach dem Mord an Pim Fortuyn hatte erst niemand in der Partei das Sagen, dann zu viele. Nach endlosen Querelen einigte sich die Fraktion auf eine Führung, die so groß war, dass ihr die Hälfte der Fraktionsmitglieder angehörte. Der Streit übertrug sich auf die Regierungsmitglieder, die versuchten, sich gegenseitig aus dem Amt zu drängen. Bevor die Parlamentsmehrheit der Regierung gefährdet worden wäre, entschlossen sich die LPF-Abgeordneten unter dem Druck von Rechtsliberalen und Christdemokraten zu einem Kraftakt. Sie wechselten ihren Fraktionschef aus und wählten den auch bei den anderen Parteien angesehenen, erst im Sommer gestürzten Mat Herben wieder ins Amt. Damit schienen die Erwartungen der anderen Koalitionspartner erfüllt: Der Machtkampf war beigelegt, die Parlamentsmehrheit heil geblieben. Doch statt erleichtert aufzuatmen, "zogen die anderen den Stecker raus", wie ein LPF-Abgeordneter später enttäuscht sagte. Die Fraktionen der Christdemokraten und der Liberalen entzogen der Regierung ihr Vertrauen, und Gerrit Zalm, Fraktionschef der Liberalen, forderte vorgezogene Neuwahlen. Die linke Opposition, von Grünen bis zu Sozialdemokraten, war einverstanden. Nach jüngsten Umfragen würden Christdemokraten und Rechtsliberale bei Neuwahlen so viel hinzugewinnen, dass eine Mehrheit ohne den Unruhestifter LPF in greifbare Nähe käme. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.10.2002)