Künstlerin, Musikerin, Autorin - und Witwe
von John Lennon: Seit Jahrzehnten gelingt
der heute 69-jährigen Yoko Ono der
Brückenschlag zwischen radikaler
Avantgarde und Popularität. Claus Philipp
sprach mit dem Stargast der Viennale.
STANDARD: 1969 haben Sie in
London, unterstützt von John
Lennon, den Film
Rape
realisiert, der jetzt wieder bei der
Viennale präsentiert werden
wird. Produziert hat damals,
was sich heute kaum noch jemand vorstellen kann, der
ORF. Was war Ihr Konzept?
Ono
: Was man sieht: Ein Kameramann treibt eine junge
Frau so lange vor sich her, bis
sie nicht mehr ausweichen
kann und er sie gewissermaßen zu Fall bringt, auslöscht.
STANDARD: Jahre später sollen
Sie beim Sehen des Films in
Tränen ausgebrochen seien.
Ono
: Ja, da erst sah ich, dass
das gewissermaßen meine Geschichte war, mein Konflikt
mit den Medien, den ich da inszeniert hatte - auch wenn ich
mich, anders als die Heldin
von
Rape
, doch ganz gut
schützen konnte, etwa indem
ich meine Kunst auch als
Deckmantel nutzte. Nur: Damals wusste ich das nicht. Mir
ging es um den Dialog zwischen dem Einzelnen und der
Außenwelt. John und ich waren beim Dreh nicht vor Ort.
Ich lag nach einer Fehlgeburt
in der Klinik, legte dort dem
Kameramann und der Darstellerin meine Vorstellungen
dar, dann gingen die auf die
Straße - das ging von Filmrolle
zu Filmrolle immer so weiter.
STANDARD: Das heißt, Sie
konnten auf Zwischenfälle nur
verspätet reagieren.
Ono
: Ja, der erzwungene
Rückzug in die Klinik war
letztlich ein Glücksfall. Man
stelle sich vor, John und ich
wären gemeinsam hinaus auf
die Straße gegangen: Das hätte
die Passanten beim Dreh völlig irritiert. Unsere Popularität
hätte uns behindert.
STANDARD: Das scheint - vor
dem Hintergrund, dass Lennon
und Sie immer wieder Privatheit thematisierten - eine
durchgängige Herausforderung gewesen zu sein.
Ono
: Sicher. Einerseits wären
uns gewisse Möglichkeiten
und Öffentlichkeiten verschlossen gewesen, wenn wir
nicht diesen Status gehabt
hätten. Andererseits mussten
wir uns kleinere Formen quasi
erkämpfen. Das ist natürlich
auch ein guter Antrieb für
Kreativität. Daran hat sich bis
heute nichts geändert: Wenn
ich, wie jetzt hier in Wien,
Publicity für eine Ausstellung
mache, gehören öffentliche
Auftritte zum "Job". Ansonsten schütze ich meine Privatsphäre, wo ich nur kann.
STANDARD: Es ist auch erstaunlich, wenn man heute etwa
Double Fantasy
, Ihr letztes
gemeinsames Album vor Lennons Tod, hört: Es ist selten,
dass "Szenen einer Ehe" gegen
alle Prominenz so direkt abgebildet werden können.
Ono
: Ach, man kann sich sogar
in Talkshows "privat" und
"authentisch" äußern, wenn
man die Spielregeln nur beherrscht. Uns ging es aber weniger um Präsentation als um
Gestaltung. Nach
Double
Fantasy
wollten wir ja noch
weiter in diese Richtung gehen - mit dem Album
Milk and
Honey
, das ich trotz aller Lücken nach dem Attentat auf
John dann auch noch herausgegeben habe.
STANDARD: Sind solche Nachbereitungen, wie etwa auch Remixes von Beatles-Alben, nicht
ein wenig problematisch?
Ono
: Ich freue mich, wenn
heute Musik, die ich etwa Ende der 60er ganz bewusst
unfinished
beließ, heute von jungen DJs "fertig gestellt" wird.
Es ist wichtig, auch "bekannte" Werke immer wieder auf
neue Facetten abzufragen ...
STANDARD: ... wobei ja, wie auch
in Ihrer Ausstellung in der Galerie Klaus Engelhorn,
From
my Window
, ein erinnernder
Blick eine große Rolle für Sie
spielt. Wie stehen Sie zu den
Aufnahmen, die etwa der
Avantgarde-Filmemacher Jonas Mekas von Ihnen und Lennon immer wieder bei privaten
Anlässen gemacht hat?
Ono
: Ich schätze ihn sehr, aber
da habe ich jetzt gar nicht
mehr so viele Bilder präsent.
STANDARD: Sein letztes großes
Erinnerungswerk, in dem Sie
auch verewigt sind, reiht
glimpses of beauty
aneinander: Spielt "Schönheit" für Sie
eine Rolle?
Ono
: Kunst hat immer etwas
mit Schönheit zu tun. Zumindest für mich. Auch als Gegenentwurf, als Gegenwelt zu
einer gewalttätigen Welt. Wir
haben seinerzeit immer gesagt: Man kann unterscheiden
zwischen einer Kriegsindustrie und einer Friedensindustrie. Keine Frage, welchem Lager wir uns zugesellten ...
STANDARD: ... weshalb Sie ja
auch bei einer legendären
Pressekonferenz in Wien die
Journalisten in Schlafsäcken
empfingen. Was hieß eigentlich
"Zusammenarbeit" mit John
Lennon, der ja sogar als Koregisseur von
Rape
geführt wird?
Ono
: Sagen wir es so: Das ist
mein Film. Wir waren aber
immer und überall denkbar
intensiv zusammen, und John
hat mich damals in jeder Weise immens unterstützt und beraten. Und es war mir auch
wichtig, ihm Türen zu öffnen
in andere Bereiche und Kunstformen. Er seinerseits hat
wiederum mein "Image" ganz
stark geprägt. Ich zum Beispiel
sehe mich überhaupt nicht als
Fluxus-Künstlerin. "Fluxus",
das war eigentlich John - und
er war auch der Meinung, dass
"Bewegungen" Namen haben
müssen.
STANDARD: Wenn Sie Ihr Leben
mit einem Kunstwerk, einem
berühmten Gemälde vergleichen wollen, welches würde
Ihnen da assoziativ einfallen?
Ono
: Ich muss glücklicherweise nicht aus der Kunstgeschichte zitieren. Mein Leben,
ich - damit verbinde ich meine eigenen Arbeiten.
Double Fantasy
ist mir tatsächlich
ganz nahe - und, ja,
Rape
, das
hat sehr viel mit mir zu tun.
STANDARD: In vielerlei Hinsicht
nimmt der Film ja Reality-TV
vorweg oder auch die Aufzeichnungsmöglichkeiten, die
etwa rund um 9/11 von vielen
Hobbyfilmen und TV-Stationen
gleichermaßen genutzt, teilweise auch missbraucht wurden. Was hätte Sie angesichts
von Ground Zero interessiert?
Wohin hätten Sie den Kameramann entsandt?
Ono
: Ich würde mich hüten,
das in diesem Kontext zu tun.
Was da in New York geschah,
ist eine ungeheuerliche Tragödie. Und es sind viel zu viele
Einzelschicksale und Gesichter darin verwoben, bei denen
ich es mir nicht anmaßen
würde, sie für ein Kunstwerk
abzufilmen. Nein,
Rape
war
eine Fiktion, und ich war deren Regisseurin, also traf ich
künstlerische Entscheidungen. Aber auch dort habe ich
eben gelernt: Man muss gar
nicht "am Schauplatz" sein. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.10.2002)
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