Dokumentarfilmer Jürgen Böttcher hielt das Alltagsleben in der DDR fest - die Viennale zeigt einen Schwerpunkt
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Die "Viennale" widmet eines ihrer Tributes heuer einem bedeutenden Filmemacher und Künstler:
Jürgen Böttcher (Strawalde), der in seinen Filmen für die DEFA über Jahrzehnte Porträts und Studien von arbeitenden Menschen und bearbeitetem Material anfertigte.
Menschen, die ein Fuhrwerk im Kreis über Getreide bewegen und eine Stimme aus dem Off, die "keinen umfassenden Film" ankündigt: "Nur ein ländlicher Ausschnitt gewissermaßen, und subjektiv dazu. Wir suchten keine besonderen Errungenschaften ... auch keine Konflikte."
Als "Gäste für kurze Zeit" reisen Regisseur und Team in der Folge über Land - wo es sich ergibt, kommt man Einheimischen näher. An anderer Stelle entstehen Bilder von Landschaften, Gebäuden oder Situationen, genaue Studien von Oberflächen, ihrer Beschaffenheit und Bearbeitung, von wechselnder Vegetation oder Lichtverhältnissen.
Der Film heißt ganz schlicht
In Georgien
(1986/87). Wie ein Maler benennt Jürgen Böttcher einzelne Sujets aus dem Off: die Stadt X vom Hügel Y aus gesehen. Als Maler, unter
dem Namen Strawalde, hat er mit dem Bildermachen begonnen. Mitte der 50er-Jahre studierte er dann an der Deutschen Hochschule für Filmkunst in Potsdam-Babelsberg Regie und arbeitete ab 1961 für die DEFA an Wochenschau- und Dokumentarfilmen. In seiner ersten kurzen Arbeit,
Drei von vielen
(1961), porträtiert er drei befreundete Künstlerkollegen.
"Sie lieben das Leben, deshalb beobachten sie es genau", heißt es da noch. Dieser optimistische, offene Gestus, die Leichtigkeit, die hier anklingt, stieß jedoch offenbar auf wenig Gegenliebe: Der Film wurde verboten. Und auch Böttchers Spielfilmdebüt
Jahrgang
'45
(1965/66), in dem schon mehr Rastlosigkeit und Unruhe das Lebensgefühl der jugendlichen Helden prägt, wurde noch vor Fertigstellung eingezogen.
Viele seiner Auftragsarbeiten für die DEFA sind Porträts, berichten von Arbeitszusammenhängen. Immer gilt Böttchers Interesse den Menschen und dem, was sie sagen, aber auch den Handgriffen, die nötig sind, bis eine feine Glühbirnen-Wendel geprüft oder
ein riesiger Hochofen versetzt worden sind.
In seinem letztem in der DDR entstandenen Film treten nach den Bildhauern, die er
etwa für das erst 2001 fertig gestellte, großartige
Konzert im Freien
beobachtete, nun die Amateure auf den Plan: Ein fortgesetztes Hämmern begleitet
Die Mauer
(1990) beziehungsweise deren Abtragung durch Baumaschinen und die vielen "Mauerspechte", die
mit Hammer und Meißel ausgerüstet den im Fallen begriffenen Grenzwall bearbeiten.
Böttcher filmt zum Jahreswechsel 1989/90 am Potsdamer Platz und beim Brandenburger Tor. Er filmt den hysterischen Silvestertaumel und den CNN-Reporter, der sein Statement zur Öffnung des Brandenburger Tores mehrmals aufsagen muss, bevor es über den Sender geht. Er beobachtet vorsichtige Blicke oder Bewegungen hinüber von einer Seite auf die andere und die vielen anderen, die ebenfalls mit Kameras ausgerüstet hier ihre Bilder machen.
Wie andere Langfilme von Böttcher ist auch dieser sperrig, widerspenstig. Man muss
ihn sich erarbeiten. Am Ende hat man jedoch Bilder im Kopf, die jeden schnellen TV-Report lange überdauern. (DER STANDARD, Printausgabe, 8.10.2002)
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