Wirtschaft
EU-Kommissar droht Deutschland mit Verfahren
Trotz Sparen über drei Prozent - "Blauer Brief aus Brüssel definitiv" - Eichel bereitet Nachtragshaushalt vor
Brüssel/Berlin - EU-Währungskommissar Pedro
Solbes hat Deutschland offen mit einem Verfahren wegen Überschreitung
der Defizit-Grenze gedroht. Solbes reagierte am Mittwochabend auf
eine Erklärung des deutschen Finanzministers Hans Eichel, das
deutsche Defizit werde im laufenden Jahr voraussichtlich über der
Grenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen.
"Falls Zahlen der deutschen Regierung oder Vorhersagen der Kommission
bestätigen, dass die Defizitgrenze von drei Prozent des BIP im Jahr
2002 überschritten wird, muss die Kommission das Verfahren wegen
Defizitüberschreitung einleiten", sagte Solbes. Noch in der vergangenen Woche hätten die Finanzminister der
Eurogruppe erklärt, dass die Verfahren zur Vorbeugung und Korrektur
von Defizit-Überschreitungen "streng und rechtzeitig" angewandt
werden müssten, fügte er hinzu. Die von der rot-grünen Koalition
angestrebte Reduzierung des konjunkturbereinigten Defizits in den
kommenden beiden Jahren zeige jedoch, dass Deutschland sich weiter
zum Stabilitätspakt bekenne, erklärte Solbes am Mittwochabend in
Brüssel.
Eichel gesteht Überschreitung
Finanzminister Eichel hatte am Mittwoch erstmals eingeräumt, dass
Deutschland die Defizitgrenze von 3,0 Prozent nach dem Maastrichter
Euro-Vertrag in diesem Jahr voraussichtlich überschreiten werde.
Wenige Tage nach der Bundestagswahl hatte Eichel bereits eine
Erhöhung der Neuverschuldung von 2,5 auf 2,9 Prozent nach Brüssel
gemeldet. Auch diese Zahl "wird nicht zu halten sein", sagte Eichel
am Mittwochabend vor Fernsehkameras in Berlin.
Politiker von CSU und Grünen sagten, sie rechneten fest mit
Solbes' Eingreifen. "Die harte Realität wird ein förmliches
Defizitverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland sein", sagte der
bayerische Finanzminister Kurt Faltlhauser. "Damit ist Deutschland
von einer Geldbuße in Höhe von mindestens vier Milliarden Euro nicht
mehr weit entfernt."
Eichel bereitet Nachtragshaushalt vor
Eichel bereitet daher für dieses Jahr einen Nachtragshaushalt vor. Anders sei das
Milliardenloch im Haushalt 2002 nicht zu schließen, hieß es am
Donnerstag in Koalitionskreisen in Berlin. Das Defizit belaufe sich
auf mindestens zwölf Milliarden Euro. Die exakte Höhe hänge von der
Steuerschätzung im November ab. Durch Einsparungen im laufenden Etat
sei die Lücke nicht mehr zu schließen. Eichel bleibe nichts anderes
übrig, als das Defizit mit höheren Schulden zu schließen als bisher
geplant.
"Blauer Brief definitiv
Der Grünen-Haushaltsexperte Oswald Metzger, der dem neuen
Bundestag nicht mehr angehört, sagte dem Wirtschaftsmagazin
"Focus-Money": "Deutschland wird den blauen Brief aus Brüssel
definitiv bekommen, sobald die Zahlen der neuen Steuerschätzung im
November vorliegen."
"Die Neuverschuldung wird nächstes Jahr und übernächstes Jahr
etwas höher liegen", sagte Eichel. Für 2003 ist jetzt eine Erhöhung
um 2,6 Milliarden auf 18,1 Milliarden Euro eingeplant. Nach den
Koalitionsverhandlungen haben Eichels Experten für die Folgejahre
noch Lücken von 2,3 Milliarden in 2004, 900 Millionen in 2005 und 2,4
Milliarden Euro in 2006 ermittelt. Dann muss es zu weiteren
Einsparungen oder mehr Wirtschaftswachstum als mit 2,0 Prozent
eingeplant kommen, um die Neuverschuldung 2006 auf Null zu bringen.
Eichel sagte, er befürchte keine Strafe. "Wir verstoßen nicht gegen
Buchstaben und Geist von Maastricht."
Scharfe Kritik von der Opposition
Scharfe Kritik kam von der Opposition. CDU/CSU-Wirtschaftssprecher
Matthias Wissmann sagte: "Damit ist der rot-grüne Wahlbetrug
perfekt." Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU)
sagte: "Der Wahlbetrug von Rot-Grün nimmt immer größere Ausmaße an.
... Schröder und Eichel haben die Bürger vor der Wahl belogen, dass
sich die Balken biegen." Das Scheitern der rot-grünen Finanzpolitik
sei offenkundig. FDP-Chef Guido Westerwelle beklagte eine "Blamage
für Deutschland". Der Wert des Euros sei gefährdet.
Im Frühjahr 2002 hatte Eichel einen blauen Brief mit einer Zusage
verhindert, 2004 einen fast ausgeglichenen Staatshaushalt vorzulegen.
Als Voraussetzung nannte Eichel aber ein Wirtschaftswachstum von 2,5
Prozent. In ihren Koalitionsverhandlungen hatten SPD und Grüne jedoch
eine Aufweichung des Sparkurses beschlossen. Bis 2005 sollen 6,3
Milliarden Euro mehr neue Schulden gemacht werden als bisher geplant.
Neben Deutschland haben auch Frankreich und Italien erhebliche
Schwierigkeiten, die Kriterien des Stabilitätspaktes einzuhalten.
Deutschland und Frankreich plädierten bereits für mehr Spielraum bei
der Einhaltung der Euro-Regeln. Bundeskanzler Gerhard Schröder
forderte mehr Flexibilität je nach konjunktureller Situation. Gegen
Portugal leitete die EU-Kommission bereits ein Verfahren ein, weil
das Defizit des Landes 2001 bei 4,1 Prozent lag.(APA/dpa/AP/Reuters)