Grüne Oasen inmitten der Betonbauten

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Geschmacklose Betonwüste, hoffnungsloser Schandfleck, Rentner-City, Billigziel für Sauftouristen – Benidorm hat im Laufe seiner rund 40-jährigen Karriere viel Spott und Hohn über sich ergehen lassen müssen. Ohne ernstlich Schaden zu nehmen. Tourismuskrise? Rückläufige Buchungszahlen? Was anderen Fremdenverkehrsorten den Schlaf raubt, ringt der Stadt mit der markanten Skyline allenfalls ein mildes Lächeln ab. Über zehn Millionen Hotel-Übernachtungen verbuchte Benidorm im vergangenen Jahr, bei einer durchschnittlichen Hotelauslastung von 89 Prozent. Die vorläufigen Bilanzen für 2002 versprechen ähnlich gute Ergebnisse. Diese Zahlen lassen seit geraumer Zeit die Lästermäuler verstummen. Nicht nur in Spanien, zunehmend auch im Ausland diskutieren Tourismusexperten, Architekten und auch Soziologen eine Frage: Was hat Benidorm, was andere nicht haben? "Benidorm betrügt niemanden", sagt der auf Tourismus und Städtebau spezialisierte valencianische Soziologe José Manuel Iribas, "die Stadt bietet ein optimales Preis-Leistungs-Verhältnis, wer Benidorm wählt, weiß, was er für sein Geld bekommt." Schönwettergarantie inklusive. (Quelle: leben-in-spanien.com/Costa Blanca Nachrichten) Kein Zufall Damit ist Benidorm das, was sein geistiger Vater, Ex-Bürgermeister Pedro Zaragoza, schon Anfang der 50er Jahre wollte: eine Ferienstadt, maßgeschneidert auf die Geldbeutel der Mittelklasse. Entworfen auf dem Reißbrett, nichts dem Zufall überlassen. Auch nicht die viel kritisierte vertikale Bebauung. Vom ersten Flächennutzungsplan im Jahr 1956 an war Benidorm als Gartenstadt geplant. Was angesichts einer an Manhattan erinnernden Skyline paradox klingt, ist von nahem betrachtet verwirklicht. Licht und locker gruppiert ragen die Hochhaustürme in die Höhe, dazwischen breite Alleen, viel Grün, viel Platz für das volle Leben. Der Vorteil der hoch strebenden Architektur: "Von 38 Quadratkilometern Gemeindegebiet sind noch immer 20 Quadratkilometer frei", sagt Benidorms amtierender Bürgermeister Vicente Pérez Devesa (Volkspartei PP). Derzeit sind in Benidorm 62.000 Einwohner gemeldet – wesentlich größer will die Stadt auch nicht werden. "Der Flächennutzungsplan ist auf höchstens 75.000 Einwohner ausgelegt", sagt Pérez Devesa. Große Teile der Sierra Helada wurden gar jüngst zu nicht bebaubarem Grund umgewidmet. Gute Umweltbilanz Derart verdichtetes Bauen lässt viel Freiraum für breite Straßen, Gehwege, Parkanlagen. Nur so ist es zu erklären, dass Benidorm während der Hochsaison auf bis zu 600.000 Einwohner anwachsen kann, ohne zu kollabieren. Vergleicht man die Umweltbilanzen des "Konzentrats" Benidorm mit Flächen intensiver Urbanisationen (jedem Haus sein Pool und Garten), so schneidet die Hochhausstadt besser ab. Mit einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 140 Litern Wasser am Tag liegt Benidorm unter dem nationalen Mittel von 165 Litern. „100 Prozent aller Abwässer werden geklärt“, sagt Umweltstadträtin Josefa Pérez (PP), „knapp 90 Prozent davon fließen in die Bewässerung von Grünanlagen.“ Manch Siedlung, die mit Ach und Krach an das städtische Versorgungsnetz angeschlossen ist, mag davon träumen. Auch das Müllproblem sei gelöst, sagt Pérez. „Die Müllhalden in der Sierra Helada und bei Terra Mítica sind geschlossen, heute werden alle Abfälle getrennt und im Müllzwischenlager der Weiterverarbeitung zugeführt beziehungsweise ordnungsgemäß entsorgt.“ Dies alles erklärt noch nicht den Erfolg Benidorms als Touristenhochburg. Was Benidorm voraus hat: den ganzjährigen Sommer. In Benidorm ist immer Saison. Selbst im Dezember, dem schwächsten Monat, fiel 2001 die Belegungsrate nur auf 76 Prozent ab. Und das bei offiziell über 53.000 Übernachtungsmöglichkeiten in 124 Hotels und 6.496 Appartements. Ohne das „Engagement der örtlichen Unternehmer“ sei dies nicht denkbar, sagt Bürgermeister Pérez Devesa. „Ständig investieren sie, schaffen immer neue Anreize, erhalten so die Attraktivität des Markenprodukts Benidorm.“ Die ganzjährige Beschäftigung des Gastronomie- und Hotelpersonals birgt einen weiteren, unschätzbaren Vorteil: Qualität durch Professionalität – und hohe Kundenbindung. Wollten vergangenes Jahr 82 Prozent der Benidorm-Urlauber wieder kommen, so sind es laut der jüngsten Umfrage der städtischen Statistiker dieses Jahr schon 84 Prozent. Kein anderer spanischer Urlaubsort, meldet Bürgermeister Pérez Devesa, erreiche ähnliche Traumnoten. Und das nicht nur bei den klassischen Benidorm-Touristen, den spanischen und britischen Rentnern, die den kalten Wintermonaten entfliehen. Bei 13 Grad Celsius Durchschnittstemperatur von November bis März – und Höchsttemperaturen bis 20 Grad ein nachvollziehbares Unterfangen. Doch allen Unkenrufen zum Trotz erfreut sich "Rentner-City" vor allem beim jüngeren Publikum immer größerer Beliebtheit. Laut dem städtischen Statistikamt machten im Sommer 2000 die bis 45-Jährigen 65 Prozent der Gesamtbesucher aus. 2001 waren es schon 72 Prozent. Themenpark Stadt Soziologe Iribas ortet das Geheimnis des Erfolges in der strikten Hinwendung zur Mittelklasse: "Urlauber in Benidorm verbringen wesentlich mehr Zeit auf der Straße, geben viel mehr Geld aus als Mieter eines Luxus-Ferien-Chalets." Die offene Bauweise der Stadt lade zur Rückeroberung des Straßenraumes ein. Im Durchschnitt lege der Benidorm-Urlauber 14 Kilometer pro Tag zu Fuß zurück – fast viermal so viel wie zu Hause. Und: "97 Prozent aller Ortswechsel finden in Benidorm in der Vertikalen statt", sagt Iribas pointiert. Sozusagen vom 20. Stock direkt in eines der 389 Restaurants, 266 Snackbars, 482 Bars oder 156 Diskotheken. Was der Urlauber suche, so der Soziologe, sei weniger ein Raum- als ein Zeiterlebnis. Benidorm biete rund um die Uhr Unterhaltung an, ermögliche eine äußerst effiziente Nutzung der knappen Freizeit. Iribas Ansicht nach sei der Themenpark Terra Mítica überflüssig: "Benidorm ist sich selbst der beste Freizeitpark."