Wien - Schon während des Einsturzes der New Yorker Zwillingstürme am 11. September 2001 gingen die "Medien- und Mythenmaschinen" in Betrieb. Ziel: Distanzgewinn zur Realität. Die in Berlin lebende Salzburger Autorin Kathrin Röggla (31) hat jetzt - nach ihrem vorjährigen Trashbuch
really ground zero
- im Auftrag des Wiener Volkstheaters eine diesbezügliche Diskursanalyse zu einem Theaterstück aufgepäppelt. Das Ergebnis heißt
fake reports
und genügt seinen Ansprüchen nicht.
Im sechsstimmig mäandernden Redefluss führt die Autorin die trügerische Durchmischung verschiedener Wahrnehmungs- und Realitätsebenen vor: erstellte "Wahrheiten", Empfindungen, Berichte, die mit Bedacht auf die Kolportage ausschließlich in der Möglichkeitsform formuliert sind ("sie habe ja keine trauer empfinden können").
Ebenso schwach entschlossen wollte die junge Regisseurin Tina Lanik im Forum U3 des Wiener Volkstheaters das zu einer weitflächigen Nachlese zerronnene Stimmengewirr vor den Fängen der Betroffenheit hinüber ins Fach der Komödie retten. Der gewiss bilderscheue Text lässt es gelten. Doch am nicht unbescheidenen Weg war mit Verlust zu rechnen - die Szenen geraten zu beliebigen Bildern zeitgenössischer Dramatik: In Unterhosen vor dem Fernsehgerät hockende Menschen, hereinwehender Papiermüll, ein Bursch' im Kittel, dazu Redesalven ins Mikrofon, irgendwann die Titelmusik der 80er-Jahre-Serie
Dallas
und für jeden Fall eine Mickey-Mouse-Larve.
Aus diesem in Kooperation mit dem
steirischen herbst
entstandenen Theaterunfall ragt aber ein weit gereister Kopf empor, der in einzelgängerischer Weise den Kampf mit dem Text aufnimmt: Leopold von Verschuer (neben der Schauspielerei auch Übersetzer von Valère Novarina). Ihn kann das Ensemble des Volkstheaters gut brauchen. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.10.2002)